(Ein Kommentar von Gesa Maschkowski) Keiner will Katastrophen und sie kommen doch. Weil wir nachwievor die falschen Prioritäten setzen. Profit vor Umwelt funktioniert nicht mehr. Der Preis den Menschen in Ahrweiler, Erftstadt und Berchtesgaden zahlen ist zu hoch. Doch es geht auch anders. Aber nicht von allein. Der Wandel zur nachhaltigen Gesellschaft braucht klare Ziele, Mut und ein gutes Miteinander. Denn viele Bürgerinnen und Bürger sind weiter als manche Politikerinnen und Politiker denken.
Späte Reue reicht nicht
Auf die Wissenschaft ist Verlass: Gewaltige Niederschläge kommen auf Deutschland zu, stand in der Risikoanalyse des Umweltbundesamt vom Juni 2021 [1]. Nun sind die Wassermassen gekommen. Die späte Reue der Bundeskanzlerin hilft den Opfern wenig. Denn seit Jahren ist klar: Klimaschutz kostet weniger als Katastrophenbewältigung [2]. Nun zeigen die Medien schockierende Bilder. Menschen sind gestorben, Existenzen vernichtet, Zukünfte zerstört. Menschen trauern. Auch wir sind zutiefst betroffen. Immer mehr Menschen machen sich Sorgen. Keiner will den Klimawandel. So wie wir leben, arbeiten und wirtschaften, machen wir die Erde kaputt und die Menschen gleich mit. Das ist nicht ökonomisch. Das ist dumm. Warum aber tun wir also nicht, was dringend nötig wäre?
Die Zerstörung ist kein Zufall, sie ist das Ergebnis unserer eigenen Spielregeln
Die Spielregeln, nach denen wir unsere Gesellschaft organisieren, sind falsch, sagt uns die Wissenschaft. Die Planetary Health Alliance – die internationale Allianz für die Gesundheit der Erde und Menschen stellte schon 2015 fest: Die Krise wird nicht wie eine Krise behandelt. Und wir setzen falsche Prioritäten.
Denn Wirtschaftswachstum und Gewinnmaximierung sind in unserer Gesellschaft wichtiger als Menschenleben, wichtiger als Gesundheit und Wohlbefinden. Sie sind wichtiger als die Erhaltung unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Nach jeder Tagesschau wird über den Aktienindex informiert, statt über das Wohlbefinden oder den Glücksindex der Deutschen. Das ist kein Naturgesetz. Das ist eine Entscheidung. Dieser Entscheidung ordnen wir alles andere unter [3]. Denn unsere gesamte Gesellschaft ist nach dem Prinzip der Gewinnmaximinierung organisiert: Die Landwirtschaft, der Handel, die Unternehmen. In diesem System hat Vorteile, wer auf Kosten der Natur wirtschaftet, denn die gibt es so gut wie kostenlos. Und umgekehrt: Alles was nachhaltig ist, kostet mehr. Mehr Arbeit, mehr Geld mehr Zeit.
Gewinne für Wenige – Kosten für alle
Was dabei unter die Räder kommt sind unsere Lebensgrundlagen, das so genannte Allgemeingut: Die Luft, das Wasser, der Boden, die Natur, aber auch die seelische Gesundheit der Menschen. Die Kosten für die Zerstörung, die Verseuchung des Grundwassers, den CO2 Müll in der Atmosphäre, das Plastik im Meer, das Artensterben zu Land und zu Wasser, die Vereinsamung und Verarmung stehen nicht auf dem Preisschild. Sie kommen auch in Unternehmensbilanzen nicht vor. Wir alle bezahlen sie [4].
Es gibt viele Lösungen – doch die sind zu wenig und zu langsam
Doch diese Regeln sind menschengemacht. Man kann sie ändern. Innovative Ansätze und Pionier:innen der Nachhaltigkeit gibt es überall – auch in und um Bonn.
- Wir sind Meister:innen im Stadtradeln, immer mehr Menschen schwingen sich aufs Lastenrad oder andere innovative Gefährte und 28.000 Bonnerinnen und Bonner unterstützten den Radentscheid [5]
- Menschen setzen sich ein für faire Mode, für gerechte Arbeitsbedingungen, für faire Beschaffung, faire Lebensmittel. In der Region gibt es mittlerweile mindestens fünf SoLaWis – landwirtschaftliche Betriebe die gemeinschaftlich von Verbraucherinnen und Verbrauchern finanziert werden. So können die Landwirtinnen und Landwirte ökologisch wirtschaften und die Verbrauchergemeinschaft bekommt frische, unverpackte Biolebensmittel der Saison.
- Auch in der Wirtschaft werden die Weichen neu gestellt. Die Regionalwert AG Rheinland hat gerade wieder hunderte von Bürgeraktien ausgegeben. Bürgerinnen und Bürger aus Bonn und der Region haben gemeinsam eine Millionen Euro in Bürgeraktien angelegt. Die Regionalwert AG wiederum investiert das Geld in den Aufbau von Bio-Unternehmen in der Region. Denn Transformation braucht auch Investitionen. Nicht nur eine, sondern viele Millionen [6]
- Die Wirtschaftsförderungs- und Entwicklungsgesellschaft mbH Bornheim, WFG Bornheim, ließ ihre Arbeit nach den Kriterien der Gemeinwohlökonomie untersuchen. Sie wollte wissen: Welchen Beitrag leisten wir zu Menschenwürde, Solidarität und Gerechtigkeit, Ökologischer Nachhaltigkeit, Transparenz und Mitentscheidung? Die Ergebnisse dienen nun zur Neuausrichtung der Wirtschaftsförderung. Denn auch Unternehmen sollen künftig „richtig rechnen“. [7]
Die Lösungen sind da, und die Menschen, die sich dafür einsetzen auch. Es sind nur zu wenige. Und es geht viel zu langsam. Wir müssen mit allen Kräften das fördern, was notwendig und sinnvoll ist und alles stoppen, was uns zerstört. „Die Klimawissenschaft sagt uns eindeutig, dass die Welt in zehn oder spätestens 15 Jahren klimaneutral sein muss, wenn wir als Spezies angenehm weiterleben wollen“, schreibt der Moderator Franz Alt in seinem Blogbeitrag 2030 ist das neue 2050. Deutschland sei schon lange kein Vorreiter mehr sondern betreibe eine Klima-Schmutzpolitik.
Wer nachhaltig handelt wird benachteiligt – das muss aufhören
Nachhaltig leben, essen und wirtschaften ist nach wie vor ein Luxus, den sich nur wenige leisten können. Man kann nicht verlangen, dass Bürgerinnen und Bürger Bahnverbindungen nutzen, wenn diese fünfmal teurer sind und dreimal länger dauern als die Autoverbindungen. Man kann von Menschen auch nicht verlangen, dass sie Biolebensmittel kaufen, wenn das Geld am Monatsende knapp wird. Einmal abgesehen davon, dass es gar nicht genug Biolebensmittel gibt, wollten wir alle ab morgen gesund und nachhaltig essen. Auch Landwirte, Unternehmen und Händler, die versuchen nachhaltiger zu wirtschaften werden systematisch benachteiligt. Ein verpackungsfreier Laden zum Beispiel braucht ein Vielfaches an Personal, verglichen mit einem Discounter. Das Problem: Arbeitskraft wird besteuert. Natur gibt es praktisch umsonst. Das ist kein fairer Wettbewerb für alle Unternehmen, die Geld, Zeit und Arbeitskraft investieren, um umweltfreundlich, resssourcenschonend und biologisch zu arbeiten.
Was ist wichtig? Und was ist eigentlich Freiheit?
Mit den Verkehrsampeln ist das einfach. Es gibt keine Freiheit über rote Ampeln zu fahren, denn damit würden wir andere gefährden. So heißt es auch im Grundgesetz „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt“. Doch wie ist das mit dem CO2? Wenn jede Person auf dieser Erde ihren CO2 Output auf 200 t im Leben beschränkt, dann hätten alle ein Chance zu überleben. Nun emittiert jeder Deutsche im Durchschnitt schon 1000 t CO2 in seinem Leben. Gibt es eine Freiheit, die Entwicklungsschancen und Lebensgrundlagen andere Menschen zu vernichten?
Informierte Bürger:innen wollen Veränderung
Transformation kann man nicht verordnen. Wenn aber Menschen gut informiert werden, treffen sie Entscheidungen im Sinne der Allgemeinheit. Das haben auch in Deutschland die beiden bundesweiten Bürgerräte gezeigt. 160 zufällig ausgeloste Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten haben klare Empfehlungen erarbeitet. Die Bürgerinnen und Bürger empfahlen zum Beispiel
- Klimaschutz vor Wirtschaftwachstum,
- Die Energieerzeugung und unsere Fortbewegungsmöglichkeiten müssen so umgestaltet werden, dass keine Emissionen mehr entstehen.
- Der öffentliche Nahverkehr und die Infrastruktur für Fahrräder sollen unverzüglich massiv ausgebaut werden [8].
Auch wir von Bonn im Wandel gehen davon aus, dass Menschen das Gute und Sinnvolle wollen. Wir gehen auch davon aus, dass es einem guten Rahmen braucht, damit wir die Stadt neu denken und gestalten können. Deswegen haben wir Bonn4future – Wir fürs Klima gestartet. Denn die große Transformation schaffen wir nur gemeinsam. Im Juli war der 1. Klima-Aktionstag. Über 30 Themenwerkstätten hatten die Bürgerinnen und Bürgern eingereicht und gute Ideen für ein klimaneutrales Bonn entwickelt. In den Klimaforen wird es weitergehen. Dort diskutieren 100 zufällig ausgewählten Menschen aus Bonn und 50 Vertreter:innen aus Initiativen und Institutionen über die Zukunft unserer Stadt. Mit ihnen wollen wir erarbeiten: Wo wollen wir eigentlich hin? Wie sieht eine klimaneutrale und faire Stadt Bonn im Jahr 2035 aus? Was muss sich verändern? Und wer muss was tun?
Unser Traum: Ein Bonn4Future für alle
In 15 Monaten wollen wir wissen: Was muss in Bonn passieren, wer muss was tun, damit auch unsere Stadt klimaneutral wir? Diese Diskussion sollte aber nicht nur in zentral in Bürgerforen geführt werden. Sie sollte in jedem Stadtteil geführt werden. Überall dort wo Menschen leben und arbeiten. Und dass das auch geht zeigen Stadtteile wie Arrenberg in Wuppertal, Ehrenfeld in Köln und hoffentlich bald auch andere in Bonn.
Text und Fotos: Gesa Maschkowski
Gesa Maschkowski ist Mitgründerin und Vorstandsmitglied von Bonn im Wandel, Initatorin und Kuratorin von Bonn4Future – Wir fürs Klima. Sie arbeitet als Moderatorin und Wissenschaftsredakteurin und hat kürzlich an der Universität Bonn zu Transformation und Kommunikation promoviert.
Literatur und Quellen
- [1] Umweltbundesamt: Klimawirkungs- und Risikoanalyse 2021 für Deutschland
[2] Wirtschaftlichkeitsberechnung des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung: Klimakosten sind am geringsten wenn die Erwärmung auf 2 Grad begrenzt wird[ - [3]Die Weiche wurde gestellt zu Beginn der Industrialisierung. Damals lebten die Menschen nach dem Prinzip der Subsistenz: Ich produziere was ich benötige. Dieses Prinzip wurde abgelöst durch die Gewinn- und Nutzenmaximierung (WBGU 2011)
- [4] 10 Euro pro Tonne CO2 – oder wie Deutschland sich selbst betrügt
- [5] Bonner Radentscheid
- [6] Regionalwert AG Rheinland
[7] Pressemeldung zur Gemeinwohlzertifizierung der Wirtschaftsförderung in Bornheim - [8] Bürgerrat „Deutschlands Rolle in der Welt“ und
- https://deutschlands-rolle.buergerrat.de/dokumentation/ und Bürgerrat Klima
Dieser Vortrag hat mich sehr beeindruckt und überzeugt, er enthält alles, was unsere und die Zukunft nachfolgender Generationen retten kann!
Postwachstumsökonom Niko Paech: Raus aus dem Konsumburnout
„Wer sich zu viel nimmt, verursacht auch ein soziales Problem“, sagte Niko Paech auf der Veranstaltung „Wohlstand ohne Wachstum“ im Hauptgebäude der Uni Bonn. Denn Deutschland beansprucht nach wie vor ein viel zu großes Stück vom globalen Ressourcen-Kuchen. Doch wie kommen wir heraus aus der Wachstumsspirale?
Energiewende wird zu kurz gedacht
Seit 1990 hat die Energiewende nur geringfügig zur CO2-Reduktion beigetragen, stellte Paech fest. Außerdem konzentriert sie sich vor allem auf die Elektrizitätsversorgung, kritisierte er. Viel zu wenig würde berücksichtigt, wie viel CO2 wir durch Verkehr und die Beheizungen von immer größeren Wohnungen verursachen, welche Emissionen die Landwirtschaft verursacht aber auch die Produktion von unseren Konsumgütern, die in Schwellenländern wie China oder Indien hergestellt werden. Fürs Fliegen gibt es keine ökologisch verträgliche Lösung
Auch am Flugverkehr scheitert die Idee des Grünen Wachstums. „Es gibt keine umweltverträgliche technische Lösung fürs Fliegen“, sagte Paech. „Es nutzt auch nichts, sich ein Passivhaus zu bauen und weiterhin das Flugzeug zu benutzen“. Rein rechnerisch stehen jedem Weltbürger in 80 Lebensjahren 200 Tonnen CO2 zur Verfügung. Allein 4 Tonnen verursacht ein Flug von Frankfurt nach New York. Will man mit dem Flugzeug nach Neuseeland dann hat man schon 14,5 Tonnen CO2-Äquivalente in der Atmosphäre abgeladen.
Bisher sind alle Versuche gescheitert, unser Bruttosozialprodukt von den ökologischen Schäden abzukoppeln, sagte Paech. Die einzige Möglichkeit ist, das Wachstum zu begrenzen und die Industrie Schritt für Schritt zurückzubauen. Mit der Begrenzung des Wachstums ist Paech übrigens in bester Gesellschaft mit konservativen ökonomischen Vordenkern wie dem Ökonomen Maynard Keynes oder Ludwig Erhard. Beide gingen davon aus, dass zunächst eine Phase des Wirtschaftswachstums erforderlich ist, um die Menschen mit dem wichtigsten Grundbedarf zu versorgen. Dann aber kommt ein Punkt, an dem weiteres Wachstum nicht mehr möglich bzw. nicht mehr sinnvoll ist.
Postwachstumsökonomie: Raus aus dem Konsumburnout
Die Kehrseite der Medaille des Massenkonsums ist der Zeitmangel, meint Paech. Uns stehen zwar mehr und mehr Konsumgüter zu günstigen Preisen zur Verfügung. Jedes Produkt und jede Aktivität braucht aber Zeit und Aufmerksamkeit. Je größer das Angebot an Konsumaktivitäten ist, desto weniger Zeit haben wir. Konsumverstopfung nennt Paech diesen Zustand oder auch Konsumburnout bei gleichzeitiger Vernichtung unserer Lebensgrundlagen. Zu mehr Wohlbefinden hat der Überkonsum nachweislich nicht geführt. Die Herausforderung ist es nun, eine neue Schnittmenge zu finden zwischen dem ökologisch machbaren und dem lebensnotwendigen Konsum.
Regionale Produktionsketten, die der Wartung, Reparatur, Renovierung, Produktion und Verarbeitung dienen, müssen wieder gestärkt werden. Lange globale Produktionsketten hingegen müssen um die Hälfte zurückgebaut werden. Wer weniger verbraucht, weil er Dinge länger nutzt oder teilt, benötigt weniger Geld und muss damit auch weniger Lebenszeit in Lohnarbeit investieren.
Im Modell der Postwachstumsökonomie würde die vorhandene Arbeit fair verteilt, so dass jeder noch etwa 20 Stunden Erwerbsarbeit nachgeht. Die übrigen 20 Stunden dienen dann sozialen und kreativen Tätigkeiten, sowie der Selbstversorgung. Ein Lebensmodell, das nicht nur viele Ökonomen als erstrebenswert angesehen haben.
Postwachstumspolitik: Wahre Preise und Stopp des Flächenverbrauches Politiker, die sich vom Dogma des ewigen Wirtschaftswachstums verabschieden möchten, müssten zunächst einmal dafür sorgen, dass transparent wird, was die Güter wirklich kosten, wie viel CO2 sie verursachen und welche andere Schäden sie anrichten. Somit könnten Verbraucher_innen tatsächlich informiert wählen. Der CO2 –Ausstoß müsste gedeckelt und bepreist werden. Mindestens genauso wichtig wäre für Paech ein sofortiges Flächenmoratorium, das heißt, die Beendigung der Flächenversiegelung für Straßen, Gebäude und andere Infrastrukturen.
Postwachstumsunternehmen: Langlebige Produkte in Kreislaufwirtschaft
Das Unternehmen der Zukunft sollte nach Paech seine Produkte so produzieren, dass sie repariert und wiederverwertet werden können. Es verkauft nicht nur ein Produkt sondern auch die Möglichkeit der Wartung und Reparatur. Wer künftig seinen Laptop kauft, sollte künftig beraten und unterstützt werden, diesen Laptop selber zu reparieren oder aufzurüsten. Das bedeutet aber im Umkehrschluss, dass wir in Zukunft so manches Unternehmen nicht mehr brauchen.