Corona: Spüren was wichtig ist – für uns und unsere Stadt

Kein Börsencrash, kein Weltkrieg, ein Virus hat unser hyperglobalisiertes Leben gestoppt. Corona zeigt uns, was es heißt, eine lebensbedrohliche, globale Krise zu bewältigen.  Und was wir schaffen können, wenn eine Krise ernst genommen wird. Niemand weiß, wie lange sie dauert.  Doch schon jetzt verändert sie unser Bewusstsein. Wir spüren, was uns wirklich wichtig ist. Und was wir schützen möchten. Auch in Bonn.

In einigen Jahren werden wir vielleicht verwundert auf diese Zeit zurück blicken. Wir werden feststellen, wie riskant diese hyperglobalisierte Welt war. Wie werden vielleicht verstanden haben, wie unklug es war, sich von fossilen Rohstoffen abhängig zu machen und von globalen Handelströmen, so dass wir nicht einmal mehr unsere Medikamente selbst produzieren konnten.

Vom Problem zu begreifen, was los ist

Am Beispiel Corona können wir beobachten,  wie schwer es uns als  „Gewohnheitstiere“ fällt, Routinen zu verändern. Und welche umfassenden Maßnahmen es braucht, damit sich wirklich etwas grundlegend verändern kann. Vielleicht werden Wissenschaftler rückwirkend analysieren mit welcher hohen Intensität die Medien warnen mussten,  bis endlich klar wurde, wie riskant die Situation ist. Welche umfassenden behördlichen Maßnahmen notwendig waren, damit viele die wichtigsten Empfehlungen im Alltag umsetzen konnten.  Und wir werden uns erinnern, wie schnell all das, was wir für „normal“ hielten Schall und Rauch war. Dass es plötzlich möglich war, von einem von einem Tag auf den anderen Fluglinien zu schließen, dass die Bahn ihren Verkehr halbierte und der Himmel über China wieder blau wurde.

Von der klugen Begrenzung knapper Güter

Wir werden vielleicht gelernt haben, wie wichtig es ist, Regeln zu vereinbaren, um  knappe Güter mit einander zu teilen,  so dass alle etwas abbekommen  – und sei es Klopapier. Und dass wir von einander abhängig sind. Denn vielleicht ist die Person, der ich das Klopapier wegnehme, morgen diejenige, die mich versorgt. Wir werden vermutlich auch besser verstanden haben, was Pflegenotstand bedeutet.

Wir werden erfahren haben, wie wertvoll es ist, dass wir kollektiv Rücksicht nehmen auf besonders gefährdete Personen, und wie viele wir davon kennen und lieben. Wir haben vielleicht ein bisschen besser verstanden, wie riskant unrealistischer Optimismus ist, der unbekümmerte Gedanke „mich wird es schon nicht treffen“. Und vielleicht werden wir gelernt haben, dass ich nicht nur mich selbst gefährde, wenn ich krank werde, sondern auch das Leben anderer.

Was brauchen wir wirklich?

Corona, das ist wie eine erzwungene Visionssuche, meint die Wildnispädagogin Elke Loeptin . Wie alle Krisen hilft auch diese zu unterscheiden zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem. Wie wichtig sind jetzt noch die neuesten Klamotten, Autos, Diäten, Schminke?

Wie anders klingt plötzlich die Frage: „Wie geht es dir?“ Wie wertvoll sind in diesen Zeiten Hilfsbereitschaft, Rücksicht, Fairness, solidarisches Teilen, Kreativität. Wie kostbar wird der Austausch mit  Menschen, die wir lieben, mit denen wir die Wohnung teilen oder mit Freunden und Familienmitgliedern, die wir nur per Telefon erreichen können. Wie dankbar können wir sein für Menschen, die „systemrelevante“ Berufe ausüben,  Pflegekräfte, Ärzt*innen, die Verkäufer*innen in den Geschäften vor Ort, die Müllabfuhr. Menschen, die unser Gemüse und Getreide anbauen. Wir können lernen,  wie wichtig es ist, dass wir uns in diesen Zeiten gut um uns selbst und um unser Miteinander kümmern.

Support your local business- Warum es gut ist resilient zu sein

Die Corona Krise zeigt die Verletzlichkeit unseres globalisierten Gesellschaftssystems. Resilienz ist das Gegenteil, nämlich die Handlungs- und Anpassungsfähigkeit im Krisenfall. Das bedeutet zum Beispiel, dass wir eine lebendige regionale Wirtschaft haben, die nicht sofort zusammenbricht, wenn die Laster nicht mehr fahren. Oder dass es auch nach der Corona Krise noch kleine  Geschäfte, Cafés, Restaurants und Freiberufler gibt. Auch in Bonn starten die ersten Menschen  erste Aufrufe und Gruppen „Support your local business!“ Ihr Wunsch: Nicht bei großen Onlineportalen kaufen, lieber direkt bei unseren Geschäften, damit es sie in ein paar Monaten noch gibt.   Die ersten Listen und Wikis entstehen von Bonner Geschäften, die Online Shops haben.  Bonner Gastronomen starten Sonderaktionen.

Vielleicht hilft uns Corona zu verstehen, wie wichtig es ist,  regionale Nahversorger zu haben. Denn wenn wir so weiter machen wie bisher, wenn wir weiter Billigware aus der ganzen Welt kaufen, dann gibt es 2036 keine kleinbäuerlichen Landwirte mehr. 2037 schließt der letzte handwerklich arbeitende Metzger. Das Bäckerhandwerk ist 2039 ausgestorben und die letzten Wirtshäuser schließen auf dem Land im Jahr 2034, das hat die Regionalbewegung nach Angaben des statistischen Bundesamtes hochgerechnet, noch vor Corona.

Die letzten Bauern, Metzger, Bäcker und Gastronomen vor dem Brandburger Tor
Die letzten ihrer Art: (vlnr) Enno Appelhagen (Fleischermeister) Eberhard Prunzel-Ulrich (Landwirt), Christa Lutum (Bäckerobermeisterin), Wolfgang Heinzel (Gastwirt)©Simon Malik/Bundesverband der Regionalbewegung e.V.

Regionale Wertschöpfung ist mehr als ein Freizeitvergnügen

Wie viele Transition Initiativen weltweit arbeiten auch wir von Bonn im Wandel seit acht Jahren an der Re-Lokalisierung unserer Grundbedürfnisse. Die Krise zeigt den großen Vorteil von lokalen, nachhaltigen Transportsystemen, von regenerativen Baumaterialien, von Permakultur, von funktionierenden Nachbarschaften, Menschen, die zusammen Lastenräder bauen, Kaputtes heil machen, Wohnprojekte gründen  oder Tauschbörsen organisieren.  Versorgung in Fahrradentfernung bekommt jetzt eine neue Bedeutung. Es bedeutet zum Beispiel, dass die Äpfel von der ObstSoLaWi Rönn aus Meckenheim kommen, das Gemüse von der solidarischen Landwirtschaft aus Alfter, der Wein aus dem Ahrtal. Dass die Produkte von Menschen angebaut werden, die hier wohnen und die fair bezahlt werden. Und dass jeder mitmachen kann, gleich ob mit viel oder wenig Einkommen, denn bei der solidarischen Landwirtschaft zahlt jede*r was möglich ist. All das funktioniert, wenn man es möchte und es organisiert.

Aus der Krise lernen

Die Krise zeigt auch: Zusammen können wir etwas schaffen, wenn es Not-wendig ist.  Zu wünschen wäre, dass nun auch die Erkenntnis wächst, dass wir diese Fähigkeit auch brauchen, um andere Krisen zu bewältigen. Denn es gibt noch  mehr Symptome einer entgleisten Hyper-Globalisierung. Klimawandel, Ressourcenerschöpfung, Artensterben,  Plastikmüll, Versauerung der Ozeane oder Belastung unserer Grundwässer. Sie haben bislang nicht ausgereicht für eine Zäsur. Vor allem, weil sie bislang nicht wie eine Krise behandelt wurden. Corona kann ein Testlauf sein für die Frage, wie wir mit Krisen umgehen, wie wir darüber informieren, welche Konsequenzen wir daraus ziehen.  Denn es wird deutlich, dass es nicht ausreicht an die Vernunft der Einzelnen zu appellieren. Die Rahmenbedingungen müssen sich genauso ändern. Nur mit Informationen und gutem Zureden entstehen keine regionalen Bauernmärkte. Und wer beste rheinische Ackerböden mit Logistikzentrum zu baut, muss sich nicht wundern, wenn es keine Nahversorger mehr gibt.

Das Gute für Alle vervielfältigen

Noch gibt es sie, die vielfältigen kleinen Geschäfte, Landwirte, Handwerker. Und es gibt auch viele gute Projekte, die zeigen, dass noch mehr geht in Sachen  Nachhaltigkeit und Resilienz. Zum Beispiel die  Regionalwert AG Rheinland, die solidarische Landwirtschaften in der Region, die ersten selbstorganisierten Bauernmärkte, die gemeinschaftlichen Wohnprojekte, die freien Lastenräder, E-Bikes, Schoko- und Weinfahrten und nicht zuletzt Bonn im Wandel e.V.  als Plattform für alle Initiativen, ihre Termine und Themen. Diese Projekte zeigen, was möglich ist, wenn Menschen anfangen, die Welt vor ihrer Haustür zu ändern. Sie sind aber noch zu wenige, um die Bonnerinnen und Bonner in einem nennenswerten Umfang zu versorgen, und Vielen ein nachhaltiges Leben zu ermöglichen. Wenn wir mehr davon wollen, wenn wir wollen dass es lokales Handwerk, Mühlen, Molkereien oder Brauereien gibt, wenn wir eine regionale Wertschöpfung wollen, dann müssen wir investieren, informieren und handeln. Jetzt. Jeden Tag.  Nach acht Jahren Transition Arbeit in dieser Stadt sind wir überzeugt davon, dass auch die Menschen in Bonn sich zukunftsfähige Lösungen für unsere Stadt wünschen. Und dass es Zeit und Raum braucht, um einander zu zuhören und  gemeinsam an einer positiven Zukunft zu arbeiten. Deswegen haben Bonn im Wandel und Klimawache Bonn den Prozess „Bonn4Future wir fürs Klima“ gestartet.

Text:

Dr. Gesa Maschkowski, Transition Trainerin, Wissenschaftlerin und Vorstand bei Bonn im Wandel e. V.
Andreas Rüther, Geograph, Webentwickler und Verantwortlicher für die IT von Bonn im Wandel e.V..

Mehr zum Thema: Artikel zum Thema: Speedtalk – was ist eigentlich  Transition

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6 Antworten auf „Corona: Spüren was wichtig ist – für uns und unsere Stadt“

  1. Hallo von Neuss nach Bonn,
    danke für eure Stellungnahme. Eure Auflistung der nötigen Änderungen ist euch richtig gut geglückt. Ihr werdet nichts dagegen haben, wenn ich für die Öffentlichkeitsarbeit daraus abschreibe.
    Wir vor Ort, z. B. im Ernährungsrat, die schon länger an diesen Themen arbeiten, hoffen und drängen auf Mitarbeit nach Corona. Vom Acker auf den Teller lässt sich im Rhein-Kreis Neuss bestens angehen, da wir fruchtbaren Boden im Umland haben.
    Danke und bleibt gesund,
    Agnes

    1. Liebe Agnes,
      vielen Dank für deine Nachricht und das positive Feedback! Das freut uns sehr, wir haben richtig viel Liebe und Zeit reingesteckt 🙂
      Ja, es wird immer deutlicher, wie wichtig es ist, dass Stadt und Land zusammen rücken.
      Wenn du abschreibst freuen wir uns über Nennung und wenn es passt Verlinkung, das wäre nett.
      Viele Grüße
      Gesa

  2. Liebe Gesa,

    ganz herzlichen Dank für diesen Artikel, besser hätte ich es nicht ausdrücken können!
    Wie kann die Erfahrung dieser „unwirklichen Zeit“ unsere Gesellschaft verändern? Deine Überlegungen machen Mut! Ich habe mir erlaubt, den Artikel unter meinem aktuellen Lied „unwirkliche Zeiten“ auf https://soundcloud.com/morgenlicht/mut zu verlinken. In der Hoffnung, dass immer mehr von uns „spüren, was wichtig ist“.

    Beste Grüße,
    Jens, der Spielmann

    1. Lieber Jens, ganz herzlichen Dank für diese Würdigung und noch einmal mehr für dein schönes Lied! Auf dass es Viele erreicht und Mut macht! Herzliche Grüße Gesa

  3. Vielen DANK für diese umfassenden und grundsätzlichen Ausführungen und Anknüpfungspunkte!
    Das bestärkt mich in vielem, was ich beim Radiohören (Cosmo) in den letzten Tagen auch schon teilweise gedacht habe.
    Mögen es viele Leute lesen und verbreiten.
    Und ich bestelle jetzt gleich bei meinen kleinen Läden und Cafes.

    Grüße
    Caroline

  4. Vielen Dank für diesen guten, umfassenden Artikel und auch das Nennen der Initiativen die schon gibt. Mit der Marktschwärmerei Beuel- Mitte will ich genau das was Du schreibst: Ganz praktisch Handeln für eine regionale Vermarktung lokaler Produkte, die wortwörtlich direkt vor meiner Haustür eine zukunftsfähige Alternative für nachhaltige Ernährung bieten.
    Herzliche Grüße
    Hilde
    Marktschwärmerei Beuel- Mitte

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