Veränderung braucht Vertrauen, meint der Soziologe Davide Brocchi. Vertrauen entsteht dort, wo Menschen die Möglichkeit haben, Beziehungen zu pflegen und ihre Zukunft gemeinsam zu gestalten. Im 21. Jahrhundert gibt es kaum noch öffentliche Räume, die dies ermöglichen. Doch die Sehnsucht danach ist groß. Das zeigt der Erfolg des autofreien „Tag des guten Lebens“. Er fand mittlerweile viermal in Köln statt und begeisterte mehrere 100.000 Menschen. Der große Saal im Haus der Bildung war rappelvoll, als die Teilnehmer_innen Brocchi und auch Dirk Lahmann von der Stadt Bonn mit Fragen löcherten. Das Projekt, so erzählt Brocchi, begann vor fünf Jahren mit einem Zufall…
Die Direktorin der Ecosign Akademie in Köln hatte Brocchi gebeten, eine Projektskizze für den Wettbewerb Kölner Klimadialog zu verfassen. Die Inspiration für den Tag des guten Lebens stammt aus zwei Quellen, berichtet der italienische Soziologe. Das war zum einen das Projekt Still Leben/Ruhr im Jahr 2010. An diesem Tag haben 3 Millionen Menschen einen vorübergehend still gelegten Autobahnabschnitt besucht und umgestaltet.„Das hat mir gezeigt, wie groß die Sehnsucht nach Freiräumen ist“, berichtet Brocchi. Seine zweite Inspirationsquelle war die AGORA der Antike, der Marktplatz, der Ort der direkten Demokratie, der Pflege von Kunst und der sozialen Beziehungen. Im 21. Jahrhundert ist die Agora verschwunden, stellte er fest. Wo können wir noch Freiraum gestalten, Gemeinschaft pflegen, Kunst im öffentlichen Raum schaffen oder Produzenten treffen? Aus diesen beiden Leitmotiven konzipierte Brocchi den Tag des guten Lebens. In Deutschland gibt aus vielen Anlässen besondere Gedenktage, meinte Brocchi, einen Tag der Nachhaltigkeit gibt es bislang nicht, obwohl das Überleben unserer Zivilisation umittelbar vom Wandel zur nachhaltigen Gesellschaft abhängt.
Das Wohnzimmer für die Nachbarschaft
Der Unterschied zwischen der Ökonomie einer Familie und unserem heutigen Verständnis von Wirtschaft ist das Vertrauen, meint Brocchi. Für ihn ist der Tag des guten Lebens kein Event sondern ein Prozess, um das Vertrauen in die Nachbarschaft hin auszuweiten. Was wäre eine Familie ohne Wohn- oder Esszimmerm in dem sich Familienmitglieder treffen und austauschen können, ihr Leben planen und sich gegenseitig unterstützen fragte er. Der Tag des guten Lebens schafft das „Wohnzimmer für die Nachbarschaft“, Freiräume, die von den Bürgern gestaltet werden, ob sie gemeinsam kochen und essen wollen, Musik machen oder Kleidertauschen. Er ist eine Einladung an die Bürger_innen einen Tag lang zusammen zu kommen und gemeinsam das Viertel so zu gestalten, wie man es gerne hätte.
Die Basis: Das Akteursnetzwerk Agora Köln und Schenkökonomie
Davide Brocchis Konzept wurde aus 1300 Einsendungen als Siegerprojekt prämiert. So stand er ziemlich unvermittelt vor der Herausforderung, das Projekt auch umzusetzen. Im Vorfeld begann er ein Netzwerk aus Organisationen aufzubauen. Dieses Netzwerk arbeitet unter dem Namen Agora Köln und bereitete den ersten Tag des guten Lebens vor. Bis heute haben sich dem Netzwerk 130 Organisationen angeschlossen. Agora Köln bildet die Brücke zwischen den Bürger_innen und der Verwaltung. Der erste Tag das guten Lebens stand unter dem Motto der nachhaltigen Mobilität. Die Bürger wurden eingeladen, an diesem Tag ihre Autos von den Straßen zu enfernen. Dafür wurden Parkplätze vor Supermärkten und Baumärkten ausgewiesen. So entstanden Freiräume, die sie selbst gestalten konnten. Die einzige Bedingung war: Alle Aktivitäten standen im Zeichen der Sharing Economy, der Schenkökonomie. Die Hauptstraße in Ehrenfeld wurde geöffnet für die Besucher aus der ganzen Region. Die Seitenstraßen waren nachbarschaftlichen Aktivitäten vorbehalten. Der Tag des guten Lebens wurde ein großer Erfolg und mittlerweile zweimal wiederholt. Es blieb auch nicht bei einem Tag. Engagierte Bürger_innen entwickelten auf dieser Basis ein stadtübergreifendes Konzept zur nachhaltigen Mobilität.
Gutes Leben auch in Bonn?
Dirk Lahmann, Leiter der Koordinierungsstelle Bürgerbeteiligung der Stadt Bonn, kann sich einen Tag des guten Lebens auch gut in einem Bonner Viertel vorstellen. Dieses Projekt geht in eine sehr ähnliche Richtung wie das EU-Projekt EPICURO, an dem die Stadt derzeit beteiligt ist. Dort diskutieren Vertreter_innen der Stadt Bonn mit Kolleg_innen aus zehn anderen europäischen Kommunen, wie sie die urbane Resilienz d.h. die Widerstandsfähigkeit ihrer Kommune entwickeln und fördern können. Denn Städte und Kommunen müssen sich immer stärker an den Klimawandel anpassen.
So ein Tag des guten Lebens passt sehr gut in diesen Kontext, meint Lahmann. Er machte den Teilnehmer_innen Mut, sich auch in Bonn für einen Tag des guten Lebens zu engagieren. Er stände als Ansprechpartner und Lotse für die Zusammenarbeit zur Verfügung. Entscheidend sei aber, dass die Initiative aus der Bürgerschaft kommt.
Text: Gesa Maschkowski
Fotos: Andi Rüther
Die Veranstaltung zum Tag des guten Lebens wurde organisiert als Kooperationsprojekt von Bonn im Wandel e.V. und der Volkshochschule Bonn. Sie war Bestandteil der Klimatour Bonn und des offiziellen Rahmenprogramms der Weltklimakonferenz COP23
Links:
- Der Tag des guten Lebens in Köln: http://www.tagdesgutenlebens.de/
- Mehr von Davide Brocchi: http://davidebrocchi.eu/texte/
- EU-Projekt EPICURO