Energiewende wird zu kurz gedacht
Seit 1990 hat die Energiewende nur geringfügig zur CO2-Reduktion beigetragen, stellte Paech fest. Außerdem konzentriert sie sich vor allem auf die Elektrizitätsversorgung, kritisierte er. Viel zu wenig würde berücksichtigt, wie viel CO2 wir durch Verkehr und die Beheizungen von immer größeren Wohnungen verusachen, welche Emissionen die Landwirtschaft verursacht aber auch die Produktion von unseren Konsumgütern, die in Schwellenländern wie China oder Indien hergestellt werden.
Fürs Fliegen gibt es keine ökologisch verträgliche Lösung
Auch am Flugverkehr scheitert die Idee des Grünen Wachstums. „Es gibt keine umweltverträgliche technische Lösung fürs Fliegen“, sagte Paech. „Es nutzt auch nichts, sich ein Passivhaus zu bauen und weiterhin das Flugzeug zu benutzen“. Rein rechnerisch stehen jedem Weltbürger in 80 Lebensjahren 200 Tonnen CO2 zur Verfügung. Allein 4 Tonnen verursacht ein Flug von Frankfurt nach New York. Will man mit dem Flugzeug nach Neuseeland dann hat man schon 14,5 Tonnen CO2-Äquivalente in der Atmosphäre abgeladen.
Bisher sind alle Versuche gescheitertert, unser Bruttosozialprodukt von den ökologischen Schäden abzukoppeln, sagte Paech. Die einzige Möglichkeit ist, das Wachstum zu begrenzen und die Industrie Schritt für Schritt zurückzubauen. Mit der Begrenzung des Wachstums ist Paech übrigens in bester Gesellschaft mit konservativen ökonomischen Vordenkern wie dem Ökonomen Maynard Keynes oder Ludwig Erhard. Beide gingen davon aus, dass zunächst eine Phase des Wirtschaftswachstums erforderlich ist, um die Menschen mit dem wichtigsten Grundbedarf zu versorgen. Dann aber kommt ein Punkt, an dem weiteres Wachstum nicht mehr möglich bzw. nicht mehr sinnvoll ist.
Postwachstumsökonomie: Raus aus dem Konsumburnout
Die Kehrseite der Medaille des Massenkonsums ist der Zeitmangel, meint Paech. Uns stehen zwar mehr und mehr Konsumgüter zu günstigen Preisen zur Verfügung. Jedes Produkt und jede Aktivität braucht aber Zeit und Aufmerksamkeit. Je größer das Angebot an Konsumaktivitäten ist, desto weniger Zeit haben wir. Konsumverstopfung nennt Paech diesen Zustand oder auch Konsumburnout bei gleichzeitiger Vernichtung unserer Lebensgrundlagen. Zu mehr Wohlbefinden hat der Überkonsum die Konsumspirale nachweislich nicht geführt. Die Herausforderung ist es nun, eine neue Schnittmenge zu finden zwischen dem ökologisch machbaren und dem lebensnotwendigen Konsum.
Praktisch bedeutet das: Wir müssen die Nutzungsdauer von Dingen verlängern. Regionale Produktionsketten, die der Wartung, Reparatur, Renovierung, Produktion und Verarbeitung dienen, müssen wieder gestärkt werden. Lange globale Produktionsketten hingegen müssen um die Hälfte zurückgebaut werden. Wer weniger verbraucht, weil er Dinge länger nutzt oder teilt, benötigt weniger Geld und muss damit auch weniger Lebenszeit in Lohnarbeit investieren.
Im Modell der Postwachstumsökonomie würde die vorhandene Arbeit fair verteilt, so dass jeder noch etwa 20 Stunden Erwerbsarbeit nachgeht. Die übrigen 20 Stunden dienen dann sozialen und kreativen Tätigkeiten, sowie der Selbstversorgung. Ein Lebensmodell, das nicht nur viele Ökonomen als erstrebenswert angesehen haben.
Postwachstumspolitik: Wahre Preise und Stopp des Flächenverbrauches
Politiker, die sich vom Dogma des ewigen Wirtschaftswachstums verabschieden möchten, müssten zunächst einmal dafür sorgen, dass transparent wird, was die Güter wirklich kosten, wie viel CO2 sie verursachen und welche andere Schäden sie anrichten. Somit könnten Verbraucher_innen tatsächlich informiert wählen. Der CO2 –Ausstoß müsste gedeckelt und bepreist werden. Mindestens genauso wichtig wäre für Paech ein sofortiges Flächenmoratorium, das heißt, die Beendigung der Flächenversiegelung für Straßen, Gebäude und andere Infrastrukturen.
Postwachstumsunternehmen: Langlebige Produkte in Kreislaufwirtschaft
Das Unternehmen der Zukunft sollte nach Paech seine Produkte so produzieren, dass sie repariert und wiederverwertet werden können. Es verkauft nicht nur ein Produkt sondern auch die Möglichkeit der Wartung und Reparatur. Wer künftig seinen Laptop kauft, sollte künftig beraten und unterstützt werden, diesen Laptop selber zu reparieren oder aufzurüsten. Das bedeutet aber im Umkehrschluss, dass wir in Zukunft so manches Unternehmen nicht mehr brauchen.
Postwachstums-Initiativen in Bonn
Regionalwert AG: mehr regionales Bio im Rheinland
Was es bedeutet, unsere Ernährungsversorgung heute schon ökologischer und regionaler auszurichten, machte Dorle Gothe von der Regionalwert AG Rheinland deutlich. Denn in der Landwirtschaft sieht es derzeit gar nicht gut aus für die regionale Erzeugung und Verarbeitung mit kurzen Wegen. Die Preise für Lebensmittel sind durch die Industrialiserung der Landwirtschaft so niedrig, dass Landwirte auf große Mengen und intensives Wirtschaften angewiesen sind; mit den bekannten Folgen für Mensch, Tier und Umwelt. Kleinere Betriebe, auch im Ernährungshandwerk, geben vermehrt ihren Betrieb auf oder finden keinen Nachfolger. Durch ein Partnernetzwerk, Beratung und finanzielle Beteiligungen stärkt die Regionalwert AG regionale Strukturen und eine besonders nachhaltige Landwirtschaft. Artgerechte Tierhaltung, samenfeste Sorten, Zweinutzungsrassen und kurze Transportwege sind dabei die Leitlinen. Sie ermöglicht Bürgerinnen, ihr Geld in Regionalwertaktien anzulegen, um durch Beteiligungen regionale und biologische Wirtschaftsstrukturen zu erhalten und auszubauen; so wie z. B. mobile Käsereien, Metzgereien und die Umstellung auf ökologischen Landbau.
Transition Towns: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es
Die Transition Town Bewegung geht davon aus, dass es nicht ausreicht zu warten, bis die Politik ins Handeln kommt, sagte Gesa Maschkowski von Bonn im Wandel. Viele tausend Initiativen weltweit setzen auf die Kraft der Gemeinschaft und der positiven Vision. So sind auch in Bonn schon mit Engagement und Mut zahlreiche nachhaltige Projekte entstanden: Dazu gehört die solidarische Landwirtschaft SoLaWi Bonn/Rhein-Sieg e.V., die über 200 Haushalte mit regionalen biologischen Lebensmittel versorgt.
Von der offenen Werkstatt mit Repair Cafe im Haus Müllestumpe und Aktivitäten für nachhaltigen Verkehr berichtete Raphael Holland. Mittlerweile stehen den Bonner_innen über die Website bolle-bonn.de zwei Lastenräder zur Verfügung, auch eine elektrische Variante namens „Boll.E“. In Kürze startet das Projekt „Bonner Velowerft“. Mit Födermitteln des Bundesumweltministerium bauen sich acht Nachbarschaften/Initiativen eigene Lastenräder aus lokalen und vorhandenen Rohstoffen und werden bei der gemeinschaftlichen Nutzung und Wartung der Räder unterstützt.
Recht auf Stadt
Die Initiative Recht auf Stadt engagiert sich für eine faire und nachhaltige Stadtentwicklung und gegen die Kommerzialisierung von öffentlichem Eigentum, berichtet Andi Rüther von Recht auf Stadt. Die Treffen sind offen für Menschen, die sich für den Erhalt und die nachhaltige Entwicklung ihrer Stadt einsetzen, ob es Schwimmbäder sind oder auch das Viktoriaviertel. Mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen wie dem PARK(ing) Day oder Festen zeigen die Initiativen immer wieder eindrücklich was Lebensqualität bedeutet jenseits von Kommerz und der kommerzialisierung des städtischen Lebens.
Germanwatch: Schulterschluss zwischen lokal und global
Stefan Rostock von Germanwatch e. V. wies darauf hin welche große Bedeutung die Verbindung zwischen lokalem Engagement, Lernerfahrungen von Nachhaltigkeitspionieren und Lobbyarbeit für eine umfassende Energie- und Wirtschaftswende habe. Erfahrungen aus Repair Cafes können über den Runden Tisch Reparatur auf Bundesebene in die nächste Überarbeitung der EU Ökodesignverordnung einfließen. Rostock betonte die besondere Bedeutung der UN-Klimaverhandlungen (COP23) vom 6.-17. November auf Einladung von Fidschi in Bonn. Dort wird die konkrete Umsetzung des Paris-Abkommens weiterverhandelt.
Die Konferenz hat die Chance ein deutliches Zeichen zur Stärkung von Kooperation und der UN, gegen die Klimageisterfahrt der US-Regierung und für ambitionierteren Klimaschutz in den dann beginnenden Koalitionsverhandlungen zu setzen. Er rief zur Beteiligung an den vielen Veranstaltungen in Bonn auf, vor allem an der Demo am 4. 11. um 12h Münsterplatz wichtig sein. http://www.klima-kohle-demo.de/
Sören Becker, von der Arbeitsgruppe Wirtschaftsgeographie war sehr zufrieden mit der positiven Resonanz und auch der Diskussion. „Ich freue mich, dass wir für diesen Dialog die Tür öffnen konnten und hoffe auf eine Fortsetzung“, sagte er. Da sich seine Arbeitsgruppe auch mit Transitionen zur Nachhaltigkeit beschäftigt, ist das kritische Nachdenken über alternative Wirtschaftsweisen eine interessante Perspektive. Dabei ist die Vielzahl von praktischen Initiativen in Bonn besonders beeindruckend. In der Zukunft sollen diese auch in der Lehre der Arbeitsgruppe stärker berücksichtigt werden.
Die Folien des Vortrages findet ihr hier:Paech-2017_10_05-Bonn
Die nächste Veranstaltung in dieser Reihe ist der Tag des guten Lebens: https://bonnimwandel.de/event/der-tag-des-guten-lebens-dem-klimawandel-in-unsere-stadt-begegnen/
Die Veranstaltung war ein ausgewählter Event und anerkannt vom UN Klimasekratariat, der Fijian Presidency of COP23, dem Umweltministerium und der Stadt Bonn.
danke für die zusammenfassung. gerade habe ich bei wdr5 ein interview mit ralf otterpohl gehört. seine idee: das neue dorf.
youtube: https://www.youtube.com/watch?v=uwXzH8L3ro0.
als buch: https://www.oekom.de/nc/buecher/gesamtprogramm/buch/das-neue-dorf.html
und zur sendung: http://www1.wdr.de/radio/wdr5/sendungen/neugier-genuegt/ralf-otterpohl-100.html
grüße
ulrich