Warum ziviler Ungehorsam notwendig ist und was ich gelernt habe – Ein persönlicher Bericht von Ende Gelände 2018

Vergangenen Samstag gab es eine große Soli-Demo mit mehreren Tausend Menschen für die Ende Gelände Aktionen. Die angemeldete und damit legale Demo startete an der Mahnwache unweit des Hambacher Tagebaus. Die Ende Gelände Aktivist_Innen nehmen mit Aktionen des zivilen Ungehorsams den Kohleausstieg selber in die Hand, z.B. indem sie Kohlebagger oder wichtige Zufahrtswege blockieren. Der pinke Finger* der Ende Gelände Aktion schloss sich ebenfalls der bunten und fröhlichen Demo an. Mit lauter Musik und vielen tanzenden Menschen ging es los in Richtung Morschenich.

Pinker Finger bricht aus Demo aus
Pinker Finger bricht aus Demo aus

Auf einmal brach der pinke Finger aus der Demo aus: Die Ansage der Demoleitung war klar: Wer dort mitgeht, verlässt den geschützten Raum der angemeldeten Demo. Alle, die sich dem Finger anschlossen mussten damit rechnen, Polizeigewalt ausgesetzt zu werden und in Gewahrsam genommen zu werden.

Viele Menschen hinderte dies nicht daran, sich der Gruppe spontan anzuschließen. Auch wenn dessen Ziel zunächst unklar war. Erstmal ging es über die Wiese in den Wald hinein. Auch ich bin im hinteren Teil des Fingers mitgelaufen um mir einen Eindruck von der Aktion zu verschaffen.

Ziviler Ungehorsam

Warum bewegen sich die Aktivist_Innen in diese Grauzone? Reicht es nicht, wenn wir auf Demos unsere Stimme gegen den Kohleabbau erheben? Seit langer Zeit wissen wir, welche Folgen unsere Lebensweise für Menschen und Umwelt hat. Nett fragen ändert daran offenbar nichts. Wir brauchen die direkten Aktionen, die den Kohleabbau für kurze Zeit stoppen und zeigen, dass wir selber etwas ändern können. Die Aktivisti_Innen handeln dabei immer friedlich und entschlossen. Das ist der Aktionskonsens auf den sich alle Gruppen verständigt haben. Dies ist friedlicher Protest aus Überzeugung. Dies sind keine kriminellen Handlungen, auch wenn manche Politiker_innen dies gerne behaupten.

Die Demo geht weiter
Die Demo geht wie geplant weiter

Bezugsgruppen: Geh nicht alleine

Die häufig in weiß gekleideten Aktivist_Innen bereiten sich gut auf die Aktionen vor: Viele machen ein Aktionstraining, das dabei hilft Situationen einzuschätzen und sich darüber klar zu werden, welche Risiken jede_R eingehen möchte und welche nicht. Zentrales Konzept der Aktionen sind die Bezugsgruppen: Niemand geht alleine, die kleinste Einheit ist nicht die Einzelne sondern die Gruppe. Jede Gruppe entscheidet für sich, was sie bereit ist zu tun und welche Risiken sie lieber nicht eingehen möchte.

Aktivistinnen gehen durch den Wald
Aktivistinnen gehen durch den Wald

In der Praxis sieht das dann so aus: Viele gut gelaunte Kleingruppen, meist junger Menschen gehen zügig und entschlossen los. Viele halten sich an den Händen, immer wieder versichern sich die Mitglieder einer Gruppe, dass noch alle anderen da sind. Wenn einer eine Pause braucht, macht die ganze Gruppe Pause. Eine Gruppe besteht meistens aus 3-7 Personen.

AktivistInnen vom pinken Finger mit Flagge auf dem Weg zur Hambachbahn
Die Flagge zeigt die Farbe des Fingers an

Ohje, ich bin alleine!

Mein Problem: Ich war alleine und bekam schnell das Gefühl, dass das nicht wirklich gut ist. Was mache ich, wenn ich mich verlaufe? Was wenn ich mich verletze oder verletzt werde? Wie verhalte ich mich, wenn ich plötzlich einer Polizeikette gegenüber stehe? Was wenn ich in Panik gerate? Natürlich würden mir andere helfen so gut es geht. Aber erstmal wartet niemand auf mich und ich bin trotz des Schutzes der großen Gruppe auf mich alleine gestellt.

Die Lage wird schnell unübersichtlich im Wald, es gibt viele schnelle Richtungsänderungen, immer wieder taucht die Polizei neben uns auf. Und plötzlich ist vor mir ein Gerangel, eine Person wird von einem Polizisten zu Boden gerungen. Ob sie in Gewahrsam genommen wurde, oder sich dabei verletzt hat? Ich weiß es nicht.

Aktivist wird von Polizist zu Boden gerungen
Ein Aktivist wird von Polizist zu Boden gerungen

Familienausflug oder nicht?

Das ist nun wirklich kein Familienausflug, denke ich mir. Ich wollte mich doch eher im vermeintlich geschützten, hinteren Teil des Fingers aufhalten. Ich überlege, ob ich zurück gehe. Viele Menschen überholen mich, es werden immer mehr, die den Wald durchqueren. Und plötzlich sehe ich einen Vater mit zwei Kindern.

Sie machen den Anschein als wäre es ein normaler Waldspaziergang. Ich spreche ihn an und frage, ob ich ein Stück mit ihnen mitgehen kann. Ob er keine Angst um seine Kinder habe? Nein, es wird schon nichts passieren. Es seien so viele Menschen hier, da fühle er sich sicher. Und: Wenn die Kinder dabei sind, würden die Polizisten schon vorsichtig sein.

Viele Aktivistinnen auf einem engen Waldweg

Sicher fühle ich mich nun auch wieder, vielleicht war ich tatsächlich etwas unvorsichtig und habe mich doch etwas zu weit vor gewagt anfangs? Schwierig zu beurteilen. Später treffe ich andere Menschen, die sich spontan und zum Teil auch alleine dem Finger angeschlossen haben. Am Wegesrand sehe ich eine Person, die sich die Augen auswaschen lässt. Offenbar hat sie Pfefferspray abbekommen.

Am gleichen Tag gab es noch weitere Aktionen: In den frühen Morgenstunden wurde ein Bagger besetzt, der organge Finger wurde komplett eingekesselt und ein anderer überquerte die Autobahn. Diese wurde zuvor von der Polizei gesperrt und ein Wasserwerfer kam zum Einsatz.

Die Hambachbahn ist besetzt

Dann kommen wir an unserem zunächst unbekannten Ziel an: Die Hambachbahn. Sie transportiert die Kohle aus dem Tagebau zum Kraftwerk. Auf den Gleisen sitzen schon Hunderte Aktivist_Innen. Somit ist der Nachschub für das Kraftwerk lahm gelegt. Der Kohleausstieg wird hier mit einer direkten Aktion umgesetzt.Viele weiß gekleidete Aktivistinnen auf den Gleisen der Hambachbahn

Nach einer Weile kommt eine weitere Gruppe über die Gleise an. Eine kleine Gruppe Polizist_Innen, die sich auf ihrem Weg positioniert hat, lässt sie passieren. Die Stimmung ist jetzt erst recht ausgelassen und fröhlich. Zum Teil werden Rettungsdecken und Schlafsäcke ausgepackt. An einer gespannten Leine wird ein Transpi und nasse Wäsche aufgehängt. Viele richten sich wohl auf eine Übernachtung ein. Die Bahn wird letztlich fast 30 Stunden blockiert sein.

Spannung und Entspannung mit der Polizei

Hinter mir höre ich auf einmal Rufe. Der Weg, der parallel zur Bahn verläuft wurde von der Polizei blockiert. Zwei Aktivisten wollen passieren, ein Polizist schubst einen von ihnen weg. Ich halte meine Kamera griffbereit, um eine die Auseinandersetzung zu dokumentieren. Dann beruhigt sich die Situation  wieder schnell.

Später spreche ich mit einem der Polizisten: Ja, er habe Verständnis für das Anliegen der Aktivist_Innen. Aber er finde es nicht gut, dass sie dafür Gesetze missachten. Sie seien nun seit sechs Wochen hier im Dauereinsatz und einige von ihnen seien einfach übermüdet und dann kann es mal zu Überreaktionen kommen. Verständlich, ja. Auch wenn es das Verhalten seines Kollegen nicht entschuldigt.

Ich habe das Gefühl, der Polizist versteht mich, wenn ich ihm erkläre, dass wir nicht weiter untätig bleiben können. Das es hier wichtig ist anzufangen und nicht in Südamerika, wo Tropenwälder gerodet werden oder sonstwo, was viel schlimmer sei (sein Argument). Das wir selber aktiv werden müssten, wenn die demokratisch gewählten Vertreter_Innen es nicht tun. Das uns einfach keine andere Wahl bleibt.

Viele weiß gekleidete Aktivistinnen auf den Gleisen der Hambachbahn, am linken Rand eine weitere Gruppe Aktivisten und Polizei
Polizist_Innen lassen Aktivist_Innen passieren

Auf dem Weg nach Hause

Ich bin mir immer noch unschlüssig, wie ich mich auf der nächsten Aktion verhalten werde: Heute ist alles gut gegangen, es war ein erfahrungsreicher und spannender Tag. Ich habe viele Menschen getroffen und wir haben ein wichtiges Zeichen für den Kohleausstieg gesetzt.

Den Heimweg teile ich mit zwei Personen, die auch auf der Demo waren. Zum Glück ist der Tag sehr gut verlaufen. Teil des Konzeptes der Bezugsgruppen ist auch die Nachbereitung von Aktionen: Was haben wir gemeinsam erlebt, was war schwierig für den Einzelnen und was würden wir anders machen. Gemeinsam ist es einfacher mit traumatisierenden Erlebnissen umzugehen, z.B. wenn die Gruppe erlebt, wie eine Person verletzt wird. Im Vorfeld ist es kaum möglich einzuschätzen, wann und wo so eine Situation passieren kann.

Und ich überlege mir, wie ich mich fühlen würde, wenn ich etwas schlimmeres erlebt hätte, als die beiden oben beschriebenen Auseinandersetzungen. Dann würde ich mir wünschen, ich wäre nicht allein gewesen. Ziemlich sicher werde ich beim nächsten Mal nicht alleine gehen, sondern mir eine Bezugsgruppe suchen.

Ergänzung vom 30.10.2018: Ich weiß nicht, ob es im Text deutlich geworden ist: Aber ich bin total begeistert von der friedlichen und entschlossenen Haltung der vielen Aktivisti_innen. Was während der Aktion an Achtsamkeit und Rücksichtsnahme innerhalb der Gruppe und aus meiner Sicht  auch gegenüber der Polizei gelebt wurd, könnte für uns alle ein Vorbild sein. Dass diese Form des Protestes (es gab noch nie eine Verurteilung einer Ende Gelände Aktivist_in) in manchen Presseartikeln verunglimpft und kriminalisiert wird, ist für mich ein Skandal.

Aktivistinnen halten sich an der Hand und gehen voran

 

Kohlekraftwerke aus der Ferne, davor Polizeiautos

Mehr Fotos auf flickr.com

Ständig aktuelle Infos aus dem Hambacher Wald: https://jannk.de/ticker.html

* Finger: Aktionen sind immer in farbige Finger mit jeweils mehreren Hunder oder Tausend Aktivist_Innen eingeteilt. Sie sind an der Flagge zu erkennen und bewegen sich zu unterschiedlichen Zielen oder lenken einfach nur die Polizei ab.

Alle Fotos von Andi Rüther.

Mehr Eindrücke von den Aktionen:

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