Im Sommer 2018 erlebte Deutschland die ersten klimabedingten Ernteausfälle. Das Getreide verdorrte auf den Feldern, Fische starben in warmen Gewässern und das Vieh musste notgeschlachtet werden, weil es nicht genug Futter gab. Der Klimawandel wird zum Ernährungsrisiko. Jetzt schon. Unser industrielles Ernährungssystem ist dafür mitverantwortlich. Denn 25 % alle klimwawirksamen Gase entstehen bei der Produktion und dem Konsum von Lebensmitteln, stellte der verbraucherpolitische Beirat des Bundesernährungsministeriums fest. Warum wir mehr brauchen als gute Tipps zum klimafreundlichen Essen.
Modellrechnungen zeigen: Mit jedem Grad mehr stehen der Weltbevölkerung 6 Prozent weniger Weizen zur Verfügung, 7 Prozent weniger Mais sowie jeweils 3 Prozent weniger Reis und Soja. In manchen Ländern lässt sich dieser Negativtrend jetzt schon beobachten. Dieses Jahr auch in Deutschland. Die Modellierungen wurden 2017 von einem 30köpfigen Wissenschaftlerteam um Zhao Chuang von der Peking Universität publiziert. An der Arbeit beteiligten sich auch Wissenschaftler vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und der Universität Bonn.
Zu den Maßnahmen mit dem größten CO2-Einsparungspotenzial gehört die Reduktion des Fleischverzehrs. Weniger Fleisch bedeutet weniger Futtermittel, weniger Stickstoffdünger, weniger Landverbrauch, weniger Grundwasserschäden. Wenn alle Bundesbürger nur die Fleischmenge essen würden, die von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung empfohlen wird, dann würden wir sofort 9 Prozent der ernährungsbedingten Treibhausgase einsparen. Eine gezielte Auswahl von klimafreundlichen Lebensmitteln bringt noch viel mehr, Stichwort Bio-Regio. Doch mit einer Ernährungsumstellung allein ist es noch nicht getan. Es gibt auf allen Stufen der Lebensmittelerzeugung gute Beispiele, die zeigen, dass wir mehr tun können und müssen.
Mit Humusaufbau CO2 speichern: Während konventionelle Landwirtschaft durchschnittlich 150 kg CO2 pro Hektar und Jahr verliert, punkten Biolandwirte mit CO2 Bindung. Durch Kompostwirtschaft, Mulchen und organische Dünger binden sie 300-1400 kg CO2 pro Jahr. Die österreichische Ökoregion Kaindorf hat die Humuswirtschaft perfektioniert. Hier bauen Landwirte gezielt Humus auf und vergeben mittlerweile CO2 Zertifikate.
Die CO2 Bindungskapazität lässt sich noch weiter steigern, zum Beispiel durch Einsatz von Biokohle oder durch Agroforstsysteme. Dabei werden Baumreihen in Mähdrescherbreite in Feldern angepflanzt. Feldversuche des staatlichen Forschungsinstitutes INRA in Frankreich zeigen, dass der Ertrag von Agroforstsystemen nicht sinkt sondern sogar steigt.
Auch die lokale Produktion von Lebensmitteln spart viele Transportkilometer. In der niederländischen Region Almere, werden 300.000 Einwohner mit frischen Lebensmittel aus der Region versorgt. 20 % des Grundbedarfes wird lokal erzeugt. Das spart 16.000 Transportkilometer pro Jahr.
Regional liefern und zubereiten: Lokale Lieferservice, wie das Kiezkaufhaus in Wiesbaden, Bioregioläden, verpackungsfreie oder -arme Läden leisten ebenfalls einen wertvollen Beitrag zur Versorgung mit klimafreundlichen Lebensmittel. Das gleiche gilt für die Biostadt-Initiativen. Pionier in Deutschland ist die Biostadt Nürnberg. Heute schon stammt das Essen in Nürnberger Kitas zu 50 % aus Bioanbau, möglichst regional. Bis 2020 wird es in allen Kitas einen Bioanteil von 75 % geben. In den Schulen und auf Märkten soll es in zwei Jahren 50 % Bio geben, in den städtischen Einrichtungen 25 %. Auch die Stadt Bonn hat sich in einem ersten Schritt verpflichtet, künftig schrittweise erst 10, dann 20 % Bio in Kitas einzusetzen. Da geht noch mehr.
Ernährungswandel unterstützen: Biobetriebe wirtschaften unter erschwerten Bedingungen. Sie schonen die Umwelt, brauchen aber meist mehr Personal. Da unser Staat Arbeitskraft besteuert und Umweltverbrauch so gut wie gar nicht, werden dieBetriebe bevorzugt, die Arbeitskraft einsparen zu Lasten unserer Umwelt. Bislang geht der Ernährungswandel zu langsam. Vogelkundler schätzen, dass wir mindestens 50 % Bio brauchen, um die Insekten- und Singvogelvielfalt zu erhalten. Das heißt, wir müssen uns dafür einsetzen, dass es auch in unserer Region wieder mehr Betriebe gibt, die nachhaltig oder biologisch wirtschaften.
- In Bonn kann man sich einer solidarischen Landwirtschaft anschließen. Es gibt immer mehr solcher Initiativen, zum Beispiel die SoLaWi Bonn Rhein-Sieg e.V. und die erste Obstsolawi im Rheinland.
- Wer keine Zeit, aber ein bisschen Geld übrig hat, kann in den Ernährungswandel investieren. Die Regionalwert AG Rheinland ist eine Bürgeraktiengesellschaft, die dafür sorgt, dass unser Geld gut angelegt wird in regionale Biobetriebe und -verarbeiter.
- Wer politisch aktiv werden möchte, kann sich aber auch in der Bonner Initiative für einen Ernährungsrat engagieren oder mit seinen Stadtverordneten einfach mal über „Mehr Bio in Bonn“ sprechen.
Schließlich wird der Klimawandel natürlich nicht nur durch unser Ernährungssystem angeheizt, sondern durch den wachsenden Individualverkehr, die falschen Subventionen im Energiesektor und die Braunkohleverstromung. Deutschland hat durch seine Kohleverstromung die höchsten CO2-Emissionen von ganz Europa und ist auf dem besten Wege seine Klimaziele zu brechen. Das klingt jetzt vielleicht etwas theoretisch. Essen, fahren und Strom verbrauchen tun wir aber immer lokal. Und da können wir viel verändern.
Gesa Maschkowski
Infos und Quellen:
Mehr Infos in der Präsentation im Klimaschutzbeirat der Stadt Bonn: Maschkowski-Klimaschutz entlang der Lebensmittelkette
Klimagutachten des wissenschaftlichen Beirates für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz des Bundesernährungsminsterium: http://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/Ministerium/Beiraete/Agrarpolitik/Klimaschutzgutachten_2016.pdf?__blob=publicationFile
Zhao Chuang (2017): Temperature increase reduces global yields
http://www.pnas.org/content/114/35/9326.abstract
https://www.pik-potsdam.de/aktuelles/pressemitteilungen/sonnige-tage-koennen-zu-hitzewellen-werden-und-zu-waldbraenden-sommerliches-blockadewetter