Wandel mit Herz, Kopf und Hand: Das ist das Ziel von Bonn im Wandel e.V. und tausenden weiteren Transition-Initiativen weltweit. In einem der Projekte des Vereins wurden im vergangenen Jahr gemeinschaftlich genutzte Lastenräder aus Holz gebaut. Als die Initiatoren des Projektes sich das Konzept ausdachten, war schnell klar: Wer in Bonn etwas mit Lastenrädern machen will, kommt um Sven Schulz nicht herum: Der Lastenraddesigner aus Dortmund hat den Trend zum Cargo Bike quasi mit gegründet. Nicht nur deswegen passt Sven wie die Faust aufs Auge zum Projekt Velowerft. Ganz im Sinne des Klimaschutzes ist es Svens Ziel so sozial-ökologisch wie möglich zu designen und zu bauen. Wir haben ihm ein paar Fragen gestellt, zu den Vorteilen von Lastenrädern, klimafreundlichen Rohstoffen und zum Projekt Velowerft.
Was hat deine Leidenschaft für Lastenräder entfacht?
Die „Einfälle-statt-Abfälle“-Hefte von Christian Kuhtz – der klassische Weg jedes Alternativschraubers! Wir hatten in der 8. Klasse eine Projektwoche und ich war in einer Fahrrad-AG, weil meine Eltern ein altes, selbstgebautes Tandem hatten, an dem immer was kaputt war. Der Leiter der AG brachte dann diese genialen Hefte mit. Damals gab es im Ruhrgebiet noch an jeder Ecke eine wilde Müllkippe voller alter Fahrräder. Da habe ich mich bedient und angefangen einen „Long John“ zu bauen. Schließlich hat auch mein Vater mitgeholfen. Der konnte zwar auch nicht Schweißen oder Hartlöten, aber ich glaube er hat sich Sorgen gemacht. Diesen Long John bin ich dann viele Jahre gefahren, bevor ich ihn einem Freund geschenkt habe, der in eine Kommune zog, die einen Bioladen gründen wollte und was zum Liefern brauchte.
Was sind die „praktischen“ Vorteile eines Lastenrads gegenüber Transportmitteln wie dem Auto?
Du kommst überall nah dran – oder teilweise sogar in die Läden rein. Wenn das Lastenrad schmal genug ist, kannst Du am Stau vorbei. Und es macht unheimlich Spaß.
Was ist das Außergewöhnlichste, das du mit einem Lastenrad transportiert hast?
Meine Kinder! Was sonst???
Was sind die wichtigsten Komponenten eines guten Lastenrads?
Gute Bremsen sind extrem wichtig und die Reifen müssen viel aushalten. Außerdem die Kette! Der ganze Antriebsstrang muss viel mehr aushalten. Insgesamt bin ich aber immer wieder überrascht, wie weit man mit Teilen vom Schrott kommt, wenn man bereit ist, ständig zu schrauben und Teile zu horten. Bei mir hat das allerdings irgendwann stark nachgelassen, weil ich mit Familie einfach ein zuverlässiges Transportmittel brauchte.
Welche Rohstoffe sind am sinnvollsten und klimafreundlichsten für den Bau eines Lastenrads?
Alu hat einen hohen carbon footprint und Leichtbau ist bei den geringen Stückzahlen, in denen Lastenräder gebaut werden, kaum möglich. Stahl ist „grüner“ und meiner Meinung nach auch technisch besser geeignet. Dann: Holz und Sperrholz! Praktisch nahezu klimaneutral, wenn es aus zertifizierten Quellen stammt. Ich habe das für einen Long John grob überschlagen: in Sperrholzbauweise liegt man bei der Hälfte des carbon footprints eines vergleichbaren Lastenrads mit Alurahmen. Und dabei machen die unvermeidlichen Aluminiumkomponenten noch über 60% aus. Der einzige Haken sind immer Kleber und Lack. Da kommt man um Kunstharze nicht herum. Aber auch die gibt es mittlerweile mit einem hohen Anteil von Pflanzenölen als Basis.
Wie hast du die bisherige Zusammenarbeit im Projekt mit den Initiativen erfahren?
Mir macht das einen Riesenspaß und ich bin beeindruckt, mit welcher Detailversessenheit die Teilnehmer*innen sich der Sache widmen. Mir hat auch gefallen, dass einiger Widerspruchsgeist da ist und dass einfache Prämissen in Frage gestellt werden. Wie zum Beispiel bei der Frage, warum wir nicht lieber einen großen Anhänger bauen.
Hast du Synergie-Effekte beobachtet bzw. neue Ideen, die dich überrascht haben?
Ich war schon überrascht, dass die Mehrzahl der Initiativen bei einem Modell gelandet ist, das meinen, unabhängig vom Projekt entstandenen Versuchen sehr ähnlich ist. Die Zweirad-Hinterlader-Idee hätte ich gerne gebaut, aber die war dann doch zu klein. Und was Dreiräder angeht, habe ich ein paar neue Ideen bekommen. Aber die waren zu Beginn zu experimentell für die Velowerft. Nun habe ich in Zusammenarbeit mit Wilfried ganz neue praktische Impulse bekommen.
Gab es einen besonderen Moment im Lauf des Projektes, den du schildern möchtest?
Als alle Pappkartonmodelle in der ersten Frühlingssonne standen! Das fand ich sehr beeindruckend.
Was waren die größten Herausforderungen während des Projekts?
Nach der anfänglichen Euphorie dranzubleiben. Den Schwung nicht verlieren. Beim Bau der Räder gab es auch größere und kleinere Probleme. Mit diesen als Gruppe umzugehen und weiterzumachen, bis das Rad dann auf der Straße rollte – das war eine Herausforderung: Denn es kam einiges an Arbeit auf die Teilnehmer zu und – offen gestanden – viel anstrengende staubige Schleiferei usw.
Hast du eine völlig unrealistische Lastenrad-Vision, die du gerne einmal umsetzen würdest?
Ja: Zwei Räder vorne, eins hinten. Ladefläche vorne, Sitzbank für zwei Personen hinten und das Hinterrad gelenkt über eine Pinne, wie bei einem Segelboot. Die ganz frühen Autos hatten so etwas. Einfach cool!
Hattest du vor dem Velowerft-Projekt bereits Berührungspunkte mit dem Klimaschutz? Wenn ja, welche?
Ich bin Mitte der 1990er bei mehreren Umweltradtouren mitgefahren und habe dann 1996 die „Gegenwind“-Tour mitorganisiert. Klimawandel war noch nicht so präsent, aber unsere Ziele waren dieselben: Energiewende, Verkehrswende…
Das Interview führte Oleg Zurmühlen