Das Versagen der Massenmedien im planetaren Notfall – ein Kommentar

Von Christiane Kliemann

Die deutsche und internationale Medienlandschaft ist bunt und vielfältig. Es gibt viele kluge Analysen des Zustands von Politik und Gesellschaft aus allen erdenklichen Perspektiven. Wer sich für ein Thema interessiert, kann in der Regel hervorragend recherchierte Artikel über neueste wissenschaftliche Erkenntnisse dazu finden. Auf der anderen Seite bemühen sich Wissenschaftler*innen, die sich mit dem Weltklima, dem Artensterben und anderen planetaren Zerstörungen befassen, nach Kräften, ihren immer verzweifelter werdenden Warnungen in den Medien und bei der Politik Gehör zu verschaffen. Manchmal schaffen sie es sogar in die Tagesschau – als eine von vielen Nachrichten, die ohne größere Einordnung verlesen oder aufgelistet werden. Und nun zum Sport.

Auch in anderen Massenmedien – den auflagenstarken überregionalen und regionalen Tageszeitungen, sowie in Hörfunk und Fernsehen – gibt es hier und da Berichte oder Dokumentationen aus der Rubrik „Hilfe, unsere Wirtschaft zerstört unsere Lebensgrundlagen immer weiter und niemand tut was!“ Diese gehen jedoch schnell in einem Wust von anderen Themen unter. So schlimm kann es wohl doch nicht sein, denkt sich da die geneigte Leserin: schließlich gibt es ja auch genügend Nachrichten über Versuche, das Klima zu retten. Dass diese lachhaft sind im Angesicht des Ausmaßes der Katastrophen und sich ausnehmen wie ein Kind, das mit einem Spielzeugfeuerwehrauto einen Waldbrand löschen will, merken sie nicht. Denn es wird nicht kommuniziert. Nicht häufig genug, nicht an prominenter Stelle und nicht im passenden Format.

Ein „weiter so wie bisher“ ist nicht normal!

Seriöser Journalismus sollte dies jedoch leisten. Er sollte das, was auf der Welt passiert, einordnen können, in den größeren Kontext stellen und miteinander in Beziehung setzen. Und,vor allem, priorisieren. So würden die Leute erfahren, dass die Krisen, von denen berichtet wird, keine scheinbar zusammenhanglosen Einzelereignisse sind, sondern logische Symptome von tiefer liegenden Ursachen mit dem Potenzial, unserer gesamte Zivilisation zu sprengen.

Erwecken die Massenmedien jedoch weiterhin zu großen Teilen den Eindruck, ein „weiter so wie bisher“ sei normal, dann braucht man sich nicht wundern, wenn die Politik mit Scheinlösungen, die unweigerlich in die Katastrophe führen müssen, davonkommt. Denn es ist leider nur eine Minderheit, die die Zeit und die Kapazität hat, sich aktiv und ausführlich in den Fach- und Nischenmedien zu informieren, und Bullshit als solchen erkennt, wenn sie ihn sieht.

Warum, um Himmels Willen, schafft es zum Beispiel die Tagesschau nicht, dem Klimanotstand und der rasanten Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen höchste Priorität einzuräumen? Die Corona-Krise zeigt ja, dass es geht: dieses Thema ist seit Mitte März unverändert jeden Tag auf den Titelseiten der Zeitungen und fast immer die Nummer eins in den Nachrichten. Dabei ist die Pandemie und ihre Auswirkungen auf Menschen, Wirtschaft und Gesellschaft – so schlimm sie auch sein mögen – nichts im Vergleich zu dem, was noch auf uns zukommt, wenn die Klimakrise voll zuschlägt. Nicht, dass sie es in anderen Erdteilen nicht schon getan hätte, was ein schnelles Handeln – und somit eine klarere Kommunikation – noch dringender gebietet.

Wer weiß schon, wie ernst es wirklich ist?

Ende letzten Jahres warnte bereits eine Studie von internationalen Wissenschaftlern unter Beteiligung der Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung in der Zeitschrift Nature, dass schon 9 von 15 bekannten Kipppunkten des Klimasystems aktiviert seien – was schnell zu unaufhaltsamen Dominoeffekten führen kann. Die Autoren der Studie machten sich im Juli noch einmal dafür stark, umgehend den planetaren Notstand auszurufen. Einen Monat zuvor hatte der Chef der Internationalen Energie-Agentur verkündet, dass wir nur noch dieses Jahr Zeit haben, um im Nachgang von COVID19 eine Klimakatastrophe zu verhindern. Aber wer hat das schon mitgekriegt? Nur Leute, die sowieso in der Wissenschaft oder Klimabewegung aktiv sind und einschlägige Quellen und Medien kennen.

Angesicht einer solchen Lage müsste jede Nachrichtensendung, jede Seite Eins fette Schlagzeilen und Grafiken zeigen, die veranschaulichen, wie rasant unsere Lebensgrundlagen Tag für Tag schwinden – und die von der Politik veranlassten Maßnahmen plastisch dem gegenüberstellen. Und das immer wieder, jeden Tag, über Wochen und Monate hinweg, bis sich dem niemand mehr entziehen kann. Eine so informierte Öffentlichkeit wäre ganz anders politisiert und könnte die lahmen konzernhörigen Politiker*innen das Fürchten lehren. Wie Greta Thunberg in ihrem Podcast vom 20 Juni sagt: „Die Klima- und ökologische Krise kann nicht mehr im Rahmen des heutigen politischen und wirtschaftlichen Systems gelöst werden. Das ist keine Meinung. Das ist einfache Mathematik.“ Den Luxus, verschiedene Meinungen zu einer so grundlegende Sache haben zu können, haben wir nicht. Die Erde ist rund. Basta. Und trotzdem sagt immer noch die Mehrheit der Menschen in Deutschland eins plus eins ist drei – anders lassen sich die hohen Umfragewerte für Parteien, die für ungenügenden Klimaschutz stehen, nicht erklären.

Sicher, es gibt viele psychische und gesellschaftliche Ursachen, die Menschen dazu veranlassen, die Realität zu verleugnen, und es nicht so genau wissen zu wollen. Doch das hört irgendwann auf. Wenn die Realität einem so auf die Pelle rückt, dass sie nicht mehr zu verleugnen ist. Wenn es keine Ausflüchte mehr gibt, die man zur Hilfe nehmen kann, um sich bequem in die Tasche zu lügen. Wenn überall nur noch die nackten Tatsachen zu sehen sind. „Ein Zusammenbruch der Zivilisation ist das wahrscheinlichste Szenario“ sagen die Wissenschaftler der oben genannten Studie. Erst aufwachen, wenn es zu spät ist, geht aber nicht. Wenn sich die Kipppunkte erst verselbständigt haben, kommt jede Reue zu spät. Eine zweite Chance haben wir nicht. Das zu kommunizieren – und zwar immer wieder, bis es auch der oder die letzte kapiert hat, wäre jetzt die Hauptaufgabe von Medien. Und, ganz nebenbei bemerkt, auch von Schule.

Christiane Kliemann schreibt, hält Vorträge und gibt Workshops zu den Themenfeldern Degrowth, Postwachstum und sozial-ökologische Transformation und ist Mitglied von Bonn im Wandel

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der Augustausgabe der Zeitung „OXI – Wirtschaft anders Denken“ (Papierversion) erschienen

6 Antworten auf „Das Versagen der Massenmedien im planetaren Notfall – ein Kommentar“

  1. Großartiger Artikel! Trifft es auf den Punkt. Ich sehe das genauso. Es wird viel zu wenig über die Vorgänge berichtet und wenn, dann in einer verharmlosenden Art.
    Es scheint, als wolle man eine Panik verbreiten. Könnte ja schlecht für die Wirtschaft sein. Dass wir aber auf eine Katastrophe zusteuern, bei der die ganze Weltwirtschaft zusammenbrechen wird scheint niemand der Verantwortlichen zu begreifen.

  2. Prognosen, Entwicklungen, Szenarien haben keinen Nachrichtenwert. Es fehlt die unmittelbare, erlebte, reale Bedrohung. Deswegen ist Covid seit Wochen der Medienstar.
    Wie kriegen wir es hin die Bedrohung der Menschheit erlebbar zu machen? Wie können wir Ereignisse schaffen die Nachrichtenwert haben?
    Wie können wir die vielen positiven Ansätze zum nachhaltigen Leben thematisieren?

  3. Die Folgen des Klimawandels werden immer deutlicher, Ernteausfälle (Auch der Bauernverband sieht inzwischen die Bedrohung), Waldbrände, Baumsterben und Dürren häufen sich. Die Lebensgrundlagen für die Menschen und Tiere stehen weltweit in Frage. Wieviel Reaktionszeit verbleibt und ist die Spezies Homo überhaupt in der Lage angemessen zu reagieren

  4. Man muss nur mal mit offenen Augen durch den Wald gehen, um zu sehen, was uns bevorsteht, wenn wir weiterhin derart Schindluder treiben mit der Natur: die Blätter der Laubbäume sind teilweise braun verfärbt aufgrund der anhaltenden Trockenheit, viele Fichten sind inzwischen mausetot und halten dem nächsten Sturm nicht stand. Die Böden sind bis zu einer durchschnittlichen Tiefe von ca. einem Meter knochentrocken. Es wird wohl auch dieses Jahr wieder zu Missernten kommen.
    Und das wird nicht das letzte Mal sein, dass der Sommer ungewöhnlich heiß und trocken wird.
    Wir sollten jetzt die Chance nutzen, dass Ruder herumzureißen.

  5. Hier wird die unterirdische Prioritätensetzung der gängigen Medien wohltuend deutlich aufs Korn genommen. Zwar gibt es auch von denen Beiträge, die den durch Wachstumssucht erzeugten Horror aufzeigen wie z.B. hier vom Bayerischen Rundfunk:
    https://www.br.de/nachrichten/wissen/insektensterben-viele-schmetterlinge-sind-gefaehrdet,S4EcMWw
    „Der Lebensraum der Schmetterlinge immer kleiner. Diese sind aus der Vogelperspektive nur noch winzige Inseln inmitten einer für alle Arten lebensfeindlichen Agrar- und Betonwüste …“,
    aber in die großen Nachrichtensendungen findet dieser Mord an der lebendigen Vielfalt nicht den Weg; da sind soundsoviele Nichtigkeiten wichtiger. Wie sehr wir unseren Lebensraum durch Überbesiedlung und (hauptsächlich daraus resultierende) Übernutzung zunehmend ruinieren, hat für die Programmverantwortlichen wahrscheinlich zu wenig „Unterhaltungswert“

  6. Das eine sind die Nachrichten selbst, das andere das Programm ansich. Wer heute noch „Das Traumschiff“ sendet oder zu den top Sendezeiten Quissendungen und wer bei Dauersonnenschein vor allem die Freibadtauglichkeit positiv herausstellt, hat das mit dem öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag nicht verstanden.
    Ähnlich krass das Problem bei den Printmedien, die auch noch immer Neubaugebiete und Konsum positiv darstellen.

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