Paul Hennig hat einen langen Weg vor sich. Der Erzieher hat gerade einen Kurs in einem Medinghovener Kindergarten beendet und die Materialien im Lastenrad verstaut. Über Duisdorf und Endenich, über die Oxfordstraße und die Kennedy-Brücke geht es zurück zu Abenteuer Lernen e. V. in der alten Tapetenfabrik in Beuel. Einmal quer durch die Stadt also, aber mit dem Elektroantrieb des Velowerft-Lastenrades ist das eine komfortable Reise. Er berichtet Oleg Zurmühlen von seinen Erfahrungen mit diesem Verkehrsmittel.
Während ich mich abstrample und ins Schwitzen komme, tritt Paul gelassen und ohne Anstrengung in die Pedalen. Ich bin dabei nicht der Einzige, der ihm quer durch Bonn folgt. Die Blicke zahlreicher Passanten bleiben an dem hölzernen Lastenrad kleben, das der Verein Abenteuer Lernen e.V. im Velowerft-Projekt von Bonn in Wandel e.V. gebaut hat. Im Interview erzählt Paul, warum das Lastenrad für den Verein ein reiner Segen ist und warum man ehrenamtliches Engagement, wie es auch im Velowerft-Projekt von Seiten der Initiativen nötig ist, nicht unterschätzen darf.
Hallo Paul, beschreibe uns kurz die Arbeit eures Vereins „Abenteuer Lernen“ und deine Rolle dort.
Ich habe vor vier Jahren meine Ausbildung als Erzieher bei Abenteuer Lernen angefangen und arbeite nun auch als Erzieher für den Verein. Wir machen Bildungsangebote für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene im Raum Bonn und im Umkreis. Dabei geht es vor allem um Bildung zur nachhaltigen Entwicklung und um erfahrungsorientiertes Lernen. Bildung zur nachhaltigen Entwicklung heißt, dass man in der Bildung berücksichtigt, dass wir nur einen Planeten haben, der so nachhaltig gestaltet und bewirtschaftet werden muss, dass man in zwanzig, dreißig, vierzig Jahren, wenn die nächste Generation alt genug ist Entscheidungen zu treffen, immer noch bewirtschaftbar ist. Da kommen ganz viele Aspekte zusammen: ökologische Themen, aber auch soziale, z.B. ist uns Inklusion sehr wichtig. Für uns hat jeder einen Platz in der Gesellschaft. Erfahrungsorientiertes Lernen ist ein pädagogischer Ansatz, der davon ausgeht, dass ein Mensch am besten lernt, wenn er Sachen selbst ausprobiert. Gemäß der Statistik, die besagt, dass man fünf Prozent von dem behält, was man aufschreibt, 10 Prozent von dem, was man wiederholt und bis hin zu 90 Prozent von dem, was man selbst erlebt hat. Deshalb ist bei unserer Bildungsarbeit ganz wichtig, dass wir mit den Kindern Erfahrungen machen und die Kinder Erfahrungen machen, die sie dann mit uns teilen können. Also nicht: Wir machen ein Experiment vor und die Kinder schauen zu, sondern die Kinder machen das Experiment und wir gucken zu und achten darauf, dass alles sicher abläuft.
Wie ist der Verein auf das Projekt Velowerft aufmerksam geworden und warum habt ihr euch entschieden teilzunehmen?
Das Velowerft-Projekt ist vor circa einem Jahr über Bonn im Wandel e.V. an uns herangetragen worden. Meine Kollegin Julia Rohde hat sich am Anfang ganz stark dafür eingesetzt, dass wir an diesem Projekt teilnehmen und die Lastenräder konzipieren. Das hatte den Hintergrund, dass wir in Bonn sehr kurze Wege haben. Wir fahren in ganz viele verschiedene Bildungseinrichtungen und haben bisher die Wege meistens mit dem Auto gemacht oder wenn es überhaupt nicht ging, die Kisten mit in die Bahn oder in den Bus genommen. Da ist das Lastenrad natürlich am besten, weil du unabhängig von den öffentlichen Verkehrsmitteln bist und man damit sehr große Lasten transportieren kann, die man mit Bus und Bahn nicht transportieren kann. Dass im Sinne der ökologischen Nachhaltigkeit das Rad größtenteils aus Holz gebaut wurde, war noch ein wichtiger Input von uns.
Was waren deine ersten Erwartungen an das Projekt vor der Bauphase?
Meine Erwartung war, dass wir ein Fahrrad bekommen, mit dem wir eine Kiste voller Material transportieren können. Ich hatte immer die Lastenräder im Kopf, die es schon auf dem Markt gibt, und natürlich auch erwartet, dass die so ähnlich aussehen werden. Außerdem gehörte zu meinen Erwartungen, dass wir das Lastenrad gemeinsam mit anderen Initiativen bauen und zeigen, dass so etwas auf lokaler Ebene möglich ist. Besonders gut fand ich, dass dann tatsächlich ein nachhaltiger Werkstoff benutzt wurde und die Vernetzung unter den Vereinen geklappt hat. Das hätte ich am Anfang nicht so erwartet.
Wie sah und sieht die Vernetzung unter den Vereinen aus, gab es Synergie-Effekte untereinander?
Im Herbst war ich beim Repair-Café, das durch die Räumlichkeiten irgendwie auch Teil des Projekts war. Dort war auch unser Velowerft-Projektleiter Ulrich Buchholz. Wir wollten ein bestimmtes Bauteil für die Lastenräder herstellen: den metallenen Ständer. Dort bin ich mit einem älteren Herrn ins Gespräch gekommen, der uns im Repair-Café ein bisschen geholfen hat. Der ist jetzt jede Woche bei unserem Flüchtlingstreffen zu Besuch und hat die Flüchtlingsarbeit für sich entdeckt. Der war total begeistert von der Arbeit unseres Vereins und kam einfach bei uns vorbei. Das Besondere daran ist, dass er Drechselmeister ist und wir haben vor kurzem von einem Spender hier eine Drechselbank gespendet bekommen. Wir hatten niemanden im Verein, der sich damit auskennt und überlegen zurzeit, ob wir nicht ein Angebot gestalten können, wo es ums Drechseln geht. Diese ganzen Gedanken und Ideen wären gar nicht ins Rollen gekommen, wenn wir nicht über die Velowerft jemanden beim Repair-Café getroffen hätten, der genau das kann.
Was war die größte Herausforderung während der Bauphase?
Für mich persönlich war die größte Herausforderung zu schauen, wo man gebraucht wird und was gerade aktuell ist. Dadurch, dass ich erst später mit ins Projekt eingestiegen bin, weil ich meine Ausbildung noch zu Ende machen musste, war ich bei den ersten Konzeptionsarbeiten überhaupt nicht drin und bin dann erst später, als es um die Vollendung des Rads ging, mit dazu gekommen. Da fand ich es sehr schwierig zu schauen, wo werde ich gebraucht, was kann ich beitragen, an welchem Bauabschnitt wird gerade gearbeitet. Jetzt wo die Lastenräder fertig sind, müssen natürlich ganz viele Kinderkrankheiten ausgebessert werden, z.B. der Ständer bei den Zweirädern und bei den Dreirädern muss, glaube ich, das Tretlager ausgebessert werden. Es gibt noch viel Arbeit, die jetzt hinterher durchaus noch die Menschen fordert, die am Projekt tätig waren.
Wie war die Zusammenarbeit mit den Experten?
Sehr gut. Mit Sven Schulz (Lastenraddesigner für die Velowerft) habe ich wegen des Ständers am meisten zu tun. Bei uns ist eine Feder gebrochen an dem Klappständer. Wir haben uns gefragt, wie konzipiert man den Ständer neu, was muss verändert werden, damit der längerfristig hält und die Feder nicht nochmal bricht. Da hat Sven immer einen guten Input. Wilfried habe ich ein paar Mal beim Bauen kennengelernt, aber da wusste ich, er gibt den Ton an und ich bin dann das ausführende Organ und muss gucken wie ich mit meinen bescheidenen Holzfähigkeiten nicht das Furnier kaputt mache oder zu viel Leim irgendwo drauf packe. Meiner Ansicht nach hat das relativ gut geklappt.
Was hat am meisten Spaß gemacht beim Bauen?
Als das Rad die ersten Male bei uns an der Werkstatt stand, ging es bei ganz vielen in unserem Verein darum, wie dekorieren wir das, wie nennen wir das Rad. Da habe ich einen Nachmittag bei einem offenen Jugendtreff für Jugendliche so ab zehn Jahren gemeinsam mit den Jugendlichen Pappe genommen und mit Kreppband an das Fahrrad geklebt und einfach Sachen drauf gemalt. Da haben wir geguckt, was könnte man denn auf das Rad malen, damit es ein bisschen Persönlichkeit bekommt. Den Nachmittag habe ich immer noch sehr gut in Erinnerung. Den Kindern hat das sehr viel Spaß gemacht, weil sie gemerkt haben, wir werden hier in etwas miteinbezogen, mit dem wir ja eigentlich nichts zu tun hatten. Das ist eine ganz schöne Erinnerung.
Was konntest du mitnehmen für dich aus dem Projekt?
Als ich das erste Mal von dem Projekt gehört habe, war mein erster pessimistischer Gedanke: So viele ehrenamtliche Vereine in einem Boot, das endet nicht gut. Am Anfang sind wir alle motiviert und dann kommt das Motivationstal, wir treffen uns nicht mehr regelmäßig und es verläuft sich so ein bisschen im Sande. Und das ist nicht passiert, sondern im Gegenteil: es sind tatsächlich Lastenräder entstanden. Wir haben es wirklich hingekriegt, dass fahrbare, nachhaltige Lastenräder in Bonn auf der Straße sind. Das hat mich total überrascht und da habe ich gelernt, dass man Menschen echt nicht unterschätzen darf. Gerade ehrenamtliches Engagement. Man denkt sich immer, das wird nicht klappen und manchmal stimmt es. Aber hier an dem Beispiel hat man ganz eindrucksvoll gesehen, dass das nicht so ist. Wenn Menschen etwas wollen und nachhaltig eine gute Idee umsetzen wollen, dann kann das klappen.
Kannst du kurz das Lastenrad beschreiben? Wie viel vom ursprünglichen Wunschmodell steckt da noch drin?
Meine Erwartungen hat es übertroffen. Ich bin davon ausgegangen, dass nur eine kleine Kiste hinein passt, vielleicht noch ein Rucksack. In unser Lastenrad können wir aber tatsächlich sechs, sieben volle Getränkekästen reinpacken und man ist damit immer noch sicher auf der Straße unterwegs. Man hat da drin so viel Platz wie in dem Kofferraum eines kleinen Autos. Das hätte ich am Anfang nicht gedacht, weil meine Erfahrung mit Lastenrädern ist, dass sie cool aussehen, Spaß machen zu fahren, aber so richtig viel Platz haben sie nun wieder auch nicht. Unseres ist aber echt groß. Man kann damit total viel transportieren und das ist für unsere Zwecke super, weil wir einfach nicht mehr aufs Auto angewiesen sind.
Wer soll das Lastenrad bei euch nutzen können?
In unserem Verein sollen alle unsere Kursreferenten das Rad zur Verfügung haben. Zusätzlich sollen alle, die dem Verein verbunden sind, also Menschen, die bei uns die Angebote besuchen, unser Geflüchtetentreffen oder unser Kernteam, das hier im Büro arbeitet, das Rad nutzen können, wenn wir keine Kurse haben. Dafür wollen wir einen Plan etablieren, sodass man sich hier bei uns im Büro eintragen kann. Wenn das gut klappt und das System ausgereift ist, werden wir noch überlegen, ob wir in Zusammenarbeit mit dem Bolle-Team, die auch am Projekt mitgearbeitet haben, unseren Kalender zusammenlegen, sodass man das Rad, wenn wir es nicht brauchen, über den Bolle-Kalender ausleihen kann.
Warum braucht jede Initiative oder Nachbarschaft ein Lastenrad?
Ich würde es einfach feiern, wenn die Lastenräder, ähnlich wie die SWB-Räder hier in Bonn rumstehen würden. Ich habe immer das Gefühl in Bonn kommst du überall super mit dem Fahrrad hin. Das größte Problem ist eigentlich, wenn du viel zu transportieren hast, und es nicht mehr auf das Fahrrad passt, dann musst du Auto fahren. Insofern könnte es eigentlich bei jedem Haushalt hier in Bonn oder an jeder Kreuzung stehen. Es würde auch benutzt werden, weil viele Leute hier in Bonn einfach keinen Bock haben immer im Stau zu stehen oder nach einem Parkplatz in der Innenstadt suchen zu müssen. Wenn man so ein Lastenrad hat, kann man sich schnell mal draufschwingen, mal eben zum Baumarkt fahren, ein paar Holzlatten einladen und dann direkt los. Ich könnte mir auch vorstellen, dass Handwerksbetriebe Interesse an so etwas hätten. Das ist vielleicht noch eine größere Zukunftsvision.
Apropos Zukunftsvision, wie stellst du dir den optimalen Verkehr vor?
Bonn ist eine der Städte, wo man am einfachsten noch so eine autofreie Innenstadt hinkriegen könnte. Geographisch gesehen liegt Bonn in einem Tal und gerade die Leute, die im Tal wohnen, kommen gut mit einem Rad von A nach B. Außerhalb der Stadt wird es ein bisschen schwierig, wobei mit einem Elektroantrieb würde das ja auch gehen. Insofern ist für mich vielleicht eine langfristige Zukunftsvision für 2050, dass in Bonn überall Lastenräder fahren. Und wenn überhaupt nur noch Elektroautos in Kombination mit den Lastenrädern und öffentlichen Verkehrsmitteln.
Wenn du jetzt unterwegs bist mit dem Rad, dann wird das Rad von den Leuten schon interessiert begutachtet, oder? Hat dich schon jemand angesprochen?
Ja, ich erlebe das fast jedes Mal, wenn ich mit dem Rad unterwegs bin. Personen schauen immer und man hat auch immer einen dabei, der sagt, wow cooles Rad, was ist denn das, wo kommt das her, kann man das irgendwo kaufen. Dann sage ich, wir haben das selbst gebaut mit ein paar anderen Vereinen hier in Bonn. Das kann man leider nicht kaufen. Da merke ich immer, die Leute haben eigentlich Bock so ein Rad zu haben. Und wenn ich erzähle, dass die Velowerft in Bonn mehrere dieser Räder gebaut hat und die Initiativen und auch die Nachbarschaften das nutzen, sind die Leute immer total erstaunt, weil sie noch nie gehört haben, dass so etwas tatsächlich funktioniert. Ich glaube, da setzen wir schon immer ein Zeichen und wir zeigen den Leuten auf, was möglich ist.
Wir hatten ein Klimafest hier Anfang Januar, wo ganz viele Leute aus der Bonner Umgebung zum Verein gekommen sind, um zu schauen, was wir machen. Da war die Rückmeldung bei den Lastenrädern, die hier ausgestellt waren und die man ausprobieren konnte, überwältigend. Viele haben gesagt, wenn ich so ein Ding vor der Tür hätte, würde ich mein Auto eigentlich gar nicht mehr benutzen. Ich würde mit dem Rad nur noch einkaufen fahren und meine Kinder zum Kindergarten bringen. Im Prinzip müssen einfach nur mehr Räder her und diese ganze Verkehrswende von der immer gesprochen wird, funktioniert dann schon von alleine.
Das Interview führte Oleg Zurmühlen.