#ITdesWandels: Freie Software für einen nachhaltigen Gesellschaftswandel?

Vor genau drei Wochen habe ich auf dem Webmontag einen kurzen Vortrag über die IT des Wandels gehalten (Slides ganz unten). Oder besser gesagt, über das was ich darunter verstehe. Ich bin seit etwa einem Jahr bei Bonn im Wandel aktiv und kümmere mich dort um alles was irgendwie mit IT, insbesondere Online-Tools zu tun hat. Das fängt bei der Administration dieser Website an und endet bei der Entwicklung und Umsetzung einer umfassenden IT-Strategie für Bonner Initiativen.

Zusammenfassung: Wie können wir die Ziele und Ideale unserer Initiativarbeit auf die eingesetzte Technik übertragen? Oftmals übergeben wir die Kontrolle über unsere Daten und die Art und Weise wie wir zusammen arbeiten an große Konzerne. Die Entwicklung und Nutzung von Open Source Tools hilft uns dabei eine sourveräne und selbstbestimmte IT-Landschaft nach unseren Bedürfnissen aufzubauen. Dabei gehe ich davon aus, dass Erkenntnisse und Gewohnheiten, die wir uns so aneignen auf den persönlichen Bereich ausstrahlen und wir die Menschen in unserer Umgebung damit begeistern können.

Update 21.2.2018: Wir haben ein Wiki angelegt um unser Wissensmanagement nach innen und außen zu verbessern. Wir haben Kontakt zur Kartevonmorgen aufgenommen und überlegen die Software hinter der Karte gemeinsam weiter zu entwickeln. Diese Funktionen können dann auch von anderen (Transition-)Initiativen genutzt werden. Für die interne Kommunikation sind wir in Kontakt mit bonn.digital, die uns einige Tools zum Testen bereitstellen. Unsere Website wächst derweil und die Anforderungen der Projekte steigen. Es gibt also viel zu tun!

Mooomeeeent! Eins nach dem anderen. Fangen wir mit einem kleinen Rückblick an: Im vergangenen Jahr haben wir den Newsletterversand in WordPress (also unsere Website) integriert. Vorher waren wir bei Mailchimp, einer in den USA ansässigen Firma, die für uns den Newsletter-Versand übernommen hat. Das ist äußerst problematisch, vor allem weil unsere Abonnenten das gar nicht wussten.

Datenschutz und Safe Harbour

Seit den Enthüllungen von Edward Snowden wissen wir, dass die Übermittlung von (personenbezogenen) Daten in die USA eine Verletzung unserer Grundrechte darstellt. Das Safe Harbour Abkommen, dass die Einhaltung der EU-Datenschutz-Standards in den USA garantieren sollte wurde daraufhin gekippt und auch das Nachfolge-Abkommen „Privacy Shield“ wird stark kritisiert. Das US-Justizministerium möchte sogar auf Daten von US-Firmen zugreifen können, die auf Servern in der EU  und anderswo außerhalb der USA liegen [1, 2].

Sprich: Jede Übermittlung von (personenbezogenen) Daten in die USA ist bedenklich bis gesetzeswidrig. Nachdem es relativ einfach war unser Mailchimp Konto zu ersetzen, arbeiten wir momentan daran unser Googlemail und Google Drive zu ersetzen. Das dauert etwas länger, aber wir sind dran. Doch es gibt noch mehr Gründe bei angeblich kostenlosen Diensten skeptisch zu sein.

Der Preis von kostenlosen Diensten

Bei den kostenlosen Diensten gibt es zwei Kategorien: Die erste, zu der google und facebook gehören, sind quasi die digitalen Brandbeschleuniger für unser aus dem Ruder gelaufenes Konsum- und Wirtschaftssystem. Sie verdienen ihr Geld mit Werbung. Und das funktioniert umso besser je mehr und unreflektierter wir konsumieren. Wir bezahlen für diese Dienste also indirekt mit der Erschöpfung der natürlichen und menschlichen Ressourcen. Ganz abgesehen davon, dass diese Konzerne genau wie die großen Handelsplattformen hierzulande kaum Steuern bezahlen (Ikea macht es schon lange vor).

Die zweite Kategorie basiert auf einer Mischkalkulation: Die Anbieter bieten viele Funktionen kostenlos an, während bestimmte (Premium)-Funktionen oder Firmenaccounts bezahlt werden müssen. Zu der Kategorie gehören z.B. trello und viele WordPress-Plugins. Sie sind mir sehr viel lieber als die erste Kategorie. Die Datenschutz- und Steuerproblematik kann natürlich auch hier zutreffen.

Aus dem bisher gesagten lassen sich schon zwei konkrete Handlungsvorschläge ableiten:

  1. Geben wir unsere Daten nur noch Firmen oder Organisationen, denen wir vertrauen.
  2. Bezahlen wir für Dienste, die uns unseren Alltag oder unsere Initiativarbeit erleichtern. Es gibt keine Dienste die nichts kosten.

Zur Sache: Wie sieht die #ITdesWandels aus?

Der erste Handlungsvorschlag lässt sich um zwei Aspekte ergänzen: Daten, die es nicht gibt, können auch nicht in falsche Hände geraten. Datensparsamkeit sollte also der erste Grundsatz sein, wenn wir unsere Privatsphäre Ernst nehmen. Der zweite Aspekt ist, dass es immer gut ist, unsere Daten möglichst nah bei uns zu haben. Sprich, warum sollten wir als lokale Community nicht unsere eigene IT-Infrastruktur betreiben? Laut Handlungsvorschlag Nr. 2 hätten wir dafür ja sogar Geld 😉 Und dank der SoLaWi wissen wir auch schon wie solidarisches Wirtschaften geht.

Um in diese Richtung weiter zu arbeiten, möchte ich euch drei Fragen stellen mit der Bitte den Link zu diesem Artikel an interessierte Menschen weiterzuleiten:

  1. Welche Bedarfe und Anforderungen gibt es in Initiativen? Wo drückt der Schuh am meisten und was könntet ihr in ein mögliches Gemeinschaftsprojekt einbringen?
  2. Wer hat Interesse sich als Einzelperson oder Firma mit IT Hintergrund in den Prozess einzubringen?
  3. Wer hat Interese sich aus organisatorischer Perspektive einzubringen? Falls wir wirklich durchstarten, gibt es hier eine ganze Menge spannender Fragen zu klären und gegenenfalls auch Anträge zu schreiben etc.

#ITdesWandels – Mehr als Software

Wie ihr wahrscheinlich schon vermutet, läuft das Projekt zu einem Teil darauf hinaus Open Source Software zu hosten und zu betreuen. Ein weiterer, genauso wichtiger Teil ist für mich die Förderung von Medienkompetenz. Dabei geht es um Datenschutz, den bewusste Konsum von digitalen Medien und die Auswahl und Bedienung von Software. Kurzum es geht darum, einen selbstbestimmten Umgang mit digitalen Medien zu fördern.

Speziell für die Arbeit in Initiativen und Organisationen kommt noch ein wichtiger Beratungsteil dazu: Die Abläufe in Initiativen sind unterschiedlich und die eingesetze Software muss zu diesen Abläufen passen. Wenn beides nicht zusammenpasst, können die Tools noch so gut sein und es bringt doch nichts.

Free and Libre Open Source Software (FLOSS)

Die etwas sperrige Bezeichnung „Free and Libre Open Source Software (FLOSS)“ betont den freiheitlichen Aspekt von Software. FLOSS Software ist nicht nur kostenlos, sondern es sind bestimmte Rechte festgeschrieben. Dazu gehört das Recht:

  • die Software nach Belieben weiterzugeben;
  • die Quelltexte zu erhalten;
  • die Software zu verändern und in veränderter Form weiterzugeben;
  • die Software für jeden Zweck einzusetzen.

Innerhalb der FLOSS-Bewegung gibt es Abstufungen, die sich in unterschiedlichen Lizenzen niederschlagen.

Tools, Tools, Tools: Eine kleiner Überblick

Um diesen Blogpost nicht zu sehr zu überfrachten, habe ich die Liste mit FLOSS Tools und Anbietern in ein Pad ausgelagert unser neues Wiki ausgelagert:

https://wiki.bonnimwandel.de/it:allgemeines https://edupad.ch/luFRyKMTZO

Bitte ergänzt dort gerne eure Liebelings-FLOSS-Tools und Anbieter.

Zur Erklärung: Die gelisteten Tools sind alle Open Source. Angenommen, ich möchte mich aber nicht selber um das Hosting, Installation und Updates kümmern, dann brauche ich noch einen Anbieter. Der wird dann häufig Software-as-a-Service Anbieter genannt. Dann kann ich mich dort einfach anmelden und die Software nutzen. Der Unterschied zu einem Hoster ist, dass der dieser erstmal nur einen Server oder Shared Webspace zur Verfügung stellt und dort noch nicht die Anwendungs-Software vorinstalliert ist. Die Verwendung der Begriffe ist aber nicht immer einheitlich.

Bei der Suche nach Alternativen kommerziellen Tools ist der Dienst alternativeto.net hilfreich. Dort könnt ihr z.B. facebook eingeben und alle Open Source Tools anzeigen lassen: https://alternativeto.net/software/facebook/?license=opensource

Fazit und Ausblick

Die umfangreiche Toolsammlung zeigt, dass es eine gute Zeit ist, auf Open Source umzusteigen. Gründe dafür gibt es schon seit längerer Zeit genügend. Es gibt ganz unterschiedliche Ansätze, wie wir als Initiative unsere Bedarfe abdecken könnten.

Besonders spannend finde ich Ansätze, die das Rad nicht neu erfinden, sondern vorhandene Tools kombinieren. Dies hat den Vorteil, dass neue Tools im Laufe der Zeit hinzugefügt werden können. Bei großen, monolithischen Systemen muss dafür viel neu programmiert werden.  Der Knackpunkt ist jedoch, dass die Benutzung einfach und übersichtlich bleiben muss. Ein weiterer Baustein in diese Richtung ist der gerade verabschiedete Activitypub Web-Standard.

Nextcloud ist eine Dropbox Alternative und integriert schon sehr viele Funktionalitäten als optionale Apps. Es gibt eine große, aktive Community. Per Collabora Office oder Onlyoffice können Office-Funktionen hinzugefügt werden. Unterschiedliche Instanzen können föderiert werden, sodass Benutzer von der einen auf die andere Instanz zugreifen können.

Einen Schritt weiter geht libre.sh. libre.sh ist ein modulares framework und stellt eine Umgebung zur Verfügung, in der Tools per docker Container installiert werden können. Es wird in der Praxis unter indie.host angeboten. Die Entwickler arbeiten aktiv daran, das hosting so einfach wie möglich zu machen und die Tools eng zu verknüpfen: https://blog.indie.host/ Die Idee entspricht dem Ansatz einer dezentralen Infrastruktur. Das Motto „The more hosters, the merrier“ findet sich sogar im Selbstverständnis.

Als letztes Beispiel möchte ich Mastodon nennen. Mastodon ist ein soziales Netzwerk, das ebenfalls dezentral angelegt ist. Eine Community kann eine eigene Instanz betreiben und dort z.B. ihre eigenen Regeln festlegen. Gleichzeitig kann diese Instanz mit allen anderen Instanzen kommunizieren. Für Bonn gibt es sogar schon eine Instanz, auf der ich mich bisher sehr wohl fühle: https://bonn.social/about/more

Wenn ihr bis hierhin noch dabei seid, erstmal vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Das ist jetzt länger geworden als geplant 😉 Ich freue mich auf euer Feedback, wenn ihr mögt schaut doch, ob ihr konkret zu den drei Fragen etwas sagen möchtet. Gerne in den Kommentaren oder per Email: it@bonnimwandel.de

PS: Etwas ausgeklammert habe ich in diesem Post unsere Öffentlichkeitsarbeit. Unsere Website bekommt erfreulicherweise immer mehr Projektseiten und die Themen werden vielfältiger. Es wird aber auch langsam unübersichtlich. Auch unsere Karte könnte ein Update vertragen. Facebook nutzen wir momentan auch recht intensiv. Also auch dort können wir noch besser werden 🙂 Aber alles zu seiner Zeit.

PPS: Das greennetProject hat eine Themenreihe „Digitale Vernetzung der Wandelbewegung“.

Hier die Slides vom Vortrag:

 

Foto: Neville Wootton CC BY 2.0 via flickr.com

7 Antworten auf „#ITdesWandels: Freie Software für einen nachhaltigen Gesellschaftswandel?“

  1. Super Arbeit!
    Ich werde den Artikel mal ein bisschen streuen und an Wandel-IT der Ökodörfer und Change-IT-Camp weiterleiten. Da gibt es auch Ansätze, Tools für den Wandel aufzulisten bzw. zu katalogisieren.

  2. Es gibt gerade auch Bestreben, Freie Software für Wandel und Gemeinschaften zusammen mit Erfahrungen der Nutzer* zu sammeln. Da das noch im Test ist möchte ich hier noch keinen Link veröffentlichen.

    Außerdem gibt es natürlich schon noch Kategorie 3, wo Dienste durch NGOs oder Aktivisten angeboten werden.

    Und zwei Grundgedanken möchte ich hier noch dazusteuern: einmal das hilfreiche – wenn auch mit Vorsicht zu genießende – Mantra „Wenn die Dienstleistung umsonst ist bist DU DAS PRODUKT“ und zweitens die Frage was mit aus Steuergeldern finanzierter Software passiert (dazu der Aufruf u.a. der FSFE https://publiccode.eu/)

    1. Hallo Felix, danke für dein Feedback! Ja, die Kategorie 3 ist sehr wichtig 🙂 -und du hast Recht, die könnte an der Stelle im Text auch erwähnt werden. In der Liste der Tools gibts ganz oben auch einen Link zu „Awesome Libre Hosters“, definitiv gibt es da schon super Ansätze!
      Die Initiative der FSFE ist sehr wichtig meiner Meinung nach!

  3. Hallo Andi,

    danke noch einmal für deinen Vortrag beim Webmontag. Du hast oben libre.sh aufgelistet – das kannte ich noch gar nicht. Etwas Ähnliches – vielleicht noch einfacher für Nutzer – ist https://sandstorm.io/

    Jedenfalls überlege ich seit deinem Vortrag, wie man das selber Betreiben solcher Umgebungen einfacher machen kann.

    1. Hallo Olav,
      es gibt noch ein paar ähnliche Projekte wie libre.sh, sandstorm.io scheint schon eins der ausgereifteren zu sein. Ich weiß nicht genau warum ich bei libre.sh hängen geblieben bin ehrlich gesagt. Vielleicht weil ich indie.host sehr sympathisch finde, das ist das PaaS Portal von den libre.sh Entwicklern. In die Richtung gibt es noch ein paar Projekte: https://alternativeto.net/software/libre-sh/
      Ich bin sehr gespannt, wenn wir uns da mal persönlich drüber unterhalten können! Das Barcamp ist bei mir noch nicht ganz sicher leider. Wenn ich komme, mache ich auf jeden Fall eine Session zu dem Thema. Auf jeden Fall bis bald!
      PS: Ich habe kurzfristig ein Bonn im Wandel Wiki eingerichtet, vor allem auch weil einige Projekte gerade eine „Basisinfrastruktur“ brauchen: https://wiki.bonnimwandel.de/
      Mal schauen wie sich das bewährt!

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