Führende Vertreter der Stadt wussten es schon vorher: Bürgerbeteiligung bringt nichts. Bei genauer Betrachtung entpuppte sich die so genannte „Bürgerwerkstatt“ als Mogelpackung. Es war ein Multi-Stakeholder-Prozess, extrem zeitaufwendig und frustrierend für die Bürger_innen. Nun dürfen sie aus der Presse erfahren, dass sie ohnehin nur Einzelinteressen vertreten hätten. Wie bitte? Nachhaltige Stadtentwicklung ein Einzelinteresse? Dies ist – kurz vor der Weltklimakonferenz in Bonn – ein Schlag ins Gesicht.
Die Empfehlungskommission stimmte für den Entwurf, der das Viertel in großen Teilen abreist, großflächigen Einzelhandel und den Bau einer Tiefgarage vorsieht. Das entspricht fast den Wünschen der Signa. Die Entscheidung fiel gegen die Stimmen fast aller Bürger_innen und dem Linken-Fraktionsvertreter Holger Schmidt. Mit diesen Ergebnissen wird sich bald der Stadtrat auseinandersetzen. Wir müssen nun jedoch vor allem darüber sprechen, auf welcher Grundlage und mit welchem Ziel Bürgerbeteiligung in Bonn passiert.
Kein breiter Dialog über die Zukunft unserer Stadt
Die Stadt in der wir leben geht uns alle an. So wie wir über die Zukunft des Viktoriaviertels sprechen, sprechen wir auch über die Zukunft der Stadt. Angesichts der vielen Herausforderungen, vor denen die Stadt steht, wären wir gut beraten, eine gemeinsame Vision darüber zu entwickeln, wie wir miteinander leben möchten. Eine Vision, die der Nachhaltigkeitstadt Bonn alle Ehre macht.
Nun kündigt der Oberbürgermeister genau das Gegenteil an. Er erteilt einem breiten gesellschaftlichen Diskurs über die Zukunft der Stadt eine Absage:
Die geringe Beteiligung bei der Bürgerwerkstatt zum Viktoria-Karree einerseits, der große Zuspruch zur Gestaltung des neuen Kombi-Bades andererseits sprächen für eine kleinteilige und fallbezogene Beteiligung der Bürgerschaft bei anstehenden Entscheidungen, sagte der Bonner OB am Donnerstagabend bei einer Diskussion über Zukunftsperspektiven Bonns. (GA vom 20.10.2017)
Geringe Beteiligung? Der Prozess im Viktoriaviertel begann mit einem Bürgerbegehren, das im Jahr 2015 von 18.000 Menschen unterzeichnet wurde. Die Bürger_innen machten damit deutlich, dass sie in der Bonner Innenstadt keine weitere Shopping-Mall möchten. So kam es zu der so genannten Bürgerwerkstatt. Es folgte ein zeitaufwändiger Beteiligungsprozess, der nach dem Auftakt nur noch marginal beworben wurde.
Kein Vergleich mit der Werbung für das neue Kombibad. Es wurde mit Hochglanzprospekten, niederschwelligen Beteiligungsformaten und einer, aus Steuergeldern finanzierten, groß angelegten Werbekampagne beworben. Vom OB persönlich.
Trotzdem kamen wiederholt mehrere hunderte Menschen zu den Veranstaltungen im Viktoriaviertel. Weitere 700 Bonnerinnen unterzeichneten die Onlinepetition für eine sozial und ökologisch nachhaltige Entwicklung des Viktoriaviertels.
Abreißen, Neubauen, Konsumieren
Nun heißt es: Der OB möchte die Bürger_innnen nur noch dann beteiligen, wenn es ihm passt. Wofür der OB steht, sieht man derzeit vor dem Hauptbahnhof: Er möchte Kräne sehen, Abreißen und Neubauen, städtische Flächen verkaufen, Großinvestoren anlocken, gesichtslose Shoppingmalls hochziehen, die Bonner Innenstadt möglichst hochpreisig vermarkten und per Auto zugänglich lassen.
Dabei wissen wir schon lange: Bonn gehört zu den Städten in NRW mit dem höchsten Verkehrsaufkommen. Die CO2-Bilanz der Stadt weist steigende Emissionen durch Indidualverkehr aus. Noch mehr Tiefgaragen und Autos in der Stadt sind der falsche Weg. Verscherbelte, öffentliche Flächen, muss sich die Stadt früher oder später hochpreisig zurück kaufen oder anmieten. Auch wirtschaftlich sind Shoppingmalls nicht der Brüller: Investoren, die ihre Immobilien an die Starbucks und Zaras dieser Welt vermieten, lassen ihre Gewinne nicht in der Stadt. Die Filialen zahlen ihre Steuern anderswo. Wenn überhaupt. Und nicht zuletzt: Hochpreisige Immobilien verdrängen lokales Gewerbe, das wir so dringend stärken müssen.
Wenn den Initiativen im Viktoriaviertel vorgeworfen wird, sie vertreten nur Partikularinteressen, dann ist dies absurd. Seit wann sind Nachhaltigkeit und regionale Wirtschaftsförderung Partikularinteressen? Wenn ein Professor Roeb im WDR die beteiligten Bürger_innen als linke Aktivisten diffamiert, ist das ein Skandal. Ist die wahre Gesinnung denn eine rechte? Geht es in dieser Diskussion um Gesinnungen oder geht es um einen Verständigungsprozess über eine Stadtentwicklung, die dem Anspruch einer Fair Trade Town gerecht wird?
Kein Anschluss unter dieser Nummer – Dialog nicht gewollt
Wenn ein OB seinen Bürger_Innen erklärt, er möchte keine breite Debatte über die Zukunft der Stadt – dann macht uns das einfach nur sprachlos. Er opfert das beste was er hat: Menschen, die sich zum Wohl der Gemeinschaft engagieren. Der Prozess im Viktoriaviertel fordert die ersten „Opfer“. Sie lauten Nachhaltigkeit, Fairness und Engagement und tragen die Namen von 18.000 Bonner_innen, die keine Shoppingmall im Viktoriaviertel wollten.