Die Planer_innen hatten sich viel Mühe gemacht mit dem Beteiligungskonzept für das neue Zentralbad. Doch dann gaben 52 % der Bonnerinnen und Bonner dem Vorschlag eine Rote Karte. Warum es Sinn macht, sich vor Beteiligungsverfahren auf Ziele zu verständigen, welch kostbares Gut die Bedenken von Bürger_innen sind, warum die Stadt weiterhin den Mut aufbringen sollte, auf Partizipation zu setzen, und warum wir uns trauen sollten, auch mal andere Verfahren zu erproben als Mehrheitsentscheidungen. …
Das Beteiligungsverfahren war aufwändig. Im Vorfeld wurde das Konzept für das Wasserlandbad mit der Bonner Stadtverwaltung, dem Bonner Sport und den Bürgerinnen und Bürgern diskutiert. Gut 1500 Wünsche wurden berücksichtigt . Seit Samstag ist das Spaßbad Geschichte. Von denen, die ihre Stimmzettel abgegeben haben waren 52 % dagegen. Die guten Argumente der übrigen 48 % sind nun vom Tisch. Rund 7 Milllionen Euro Planungskosten wurden in den Sand gesetzt. Bringen uns Mehrheitsentscheidungen wirklich näher zum Ziel?
Es gibt zwei wichtige Voraussetzungen, damit frau oder man gute Entscheidungen treffen kann: Das Ziel muss klar sein. Und die Konsequenzen auch. Sonst wird daraus ein fröhliches Rätselraten. Möglicherweise haben 50 % der Bonner_innen überhaupt nicht gewählt, weil ihnen weder Ziel noch Konsequenzen klar waren.
Gehen wir einmal davon aus, wir hätten uns vor der Schwimmbaddebatte auf gemeinsame Ziele verständigt. Nehmen wir uns zwei völlig willkürlich gewählte Ziele heraus. Zum Beispiel:
- Alle Bonner Schülerinnen und Schüler können schwimmen
- Auch Haushalte mit wenig Geld sollten sich einen Schwimmbadbesuch leisten können
Ziel 1: Alle Bonner Schüler_innen können schwimmen.
Die Macher_innen des Wasserlandbades konnten in dieser Sache punkten mit mehr Wasserfläche als jemals zuvor. Im Laufe der Debatte wurde allerdings deutlich: Wasserfläche allein reicht nicht. Sie muss für die Schüler_innen schon in realistischer Zeit erreichbar sein. Das schien beim Wasserlandbad nicht der Fall zu sein.
Ziel 2: Der Schwimmbadbesuch sollte nicht vom Einkommen abhängen
Auch hier punkteten die Initiativen, die sich für die Stadtteilbäder stark machten: Das Preiskonzept der Spaßbadbetreiber sah nur für Inhaber des Bonn-Ausweis reduzierte Eintrittspreise vor. Alle anderen zahlen praktisch doppelt so viel wie vorher. Damit öffnet sich die soziale Schere weiter. So manche Familien mit niedrigem Einkommen hätte sich den Besuch eines solchen Zentralbads nicht mehr leisten können.
Vom konstruktiven Umgang mit wertvollen Hinweisen
Es geht an dieser Stelle nicht um die Diskussion der Inhalte. Die Beispiele sollen zeigen, dass es Bedenken gibt, die berechtigt sind. Eine Stadt, kann sich glücklich schätzen, wenn Bürger_innen sich die Mühe machen, solche Hinweise zu geben. Die Frage ist: Wie wird damit umgegangen?
Bei Mehrheitsentscheidungen fallen üblicherweise die Argumente der Minderheit unter den Tisch, ganz gleich wie gut sie waren, denn sie werden überstimmt.
Es gibt aber auch noch andere Möglichkeiten, mit Bedenken umzugehen. Hier lohnt sich ein Blick auf Prozesse, jenseits von Mehrheitsentscheidungen. Im soziokratischen Konsentverfahren werden Bedenken daraufhin geprüft, ob sie das gemeinsame Ziel gefährden. Wenn ja, dann sind sie ernst zu nehmen und ein wertvoller Hinweis, dass der Vorschlag verbessert werden muss. Möglicherweise zeigen berechtigte Bedenken sogar, dass ein Vorschlag unsinnig ist. Sie bewahren die Gemeinschaft vor Fehlern.
Die Voraussetzung ist aber, dass man sich vorher auf Ziele verständigt hat, sonst kann man weder die Vorschläge noch die Bedenken prüfen.
Kreative Lösungen jenseits von ja und nein
Gehen wir auch einmal davon aus, die Bedenken der Initiativen wären frühzeitig geprüft und aufgegriffen worden. Möglicherweise hätte es kreative Lösungen gegeben, jenseits von einem „Ja“ oder „Nein“ zum Zentralbad.
Vielleicht hätte jemand folgenden Verbesserungsvorschlag gemacht: Wie in der niederländischen Stadt Gent können Bürger_innen, die sich ehrenamtlich engagieren, eine kleine Bezahlung in Form einer Regionalwährung erhalten. Dafür können sie kostenfrei öffentliche Einrichtungen wie zum Beispiel ÖPNV und Schwimmbäder nützen. Das Beispiel ist kein realistischer Vorschlag, aber es soll zeigen: Manchmal gibt es ungewöhnliche Lösungen, wenn Menschen bereit sind, nach einem guten Weg zu suchen, der sie näher zum gemeinsamen Ziel bringt.
Lektionen des Bäderdebakels
Es gibt sicher viele Lektionen, die man aus diesem Beispiel ziehen kann. Methodisch zeigt die Bäderdebatte dieselben Schwächen wie viele andere in dieser Stadt. „Seilbahn ja oder nein“, „Shoppingmall Ja oder Nein“. Es fehlt an der Verständigung über die Ziele, die langfristig allen zu Gute kommen. Das ist nach Aristoteles die Aufgabe Ökonomie: Das Wirtschaften mit knappen Mitteln, um langfristig die Bedürfnisse aller Haushaltsmitglieder zu befriedigen. Und es fehlt an einer guten Umgangskultur mit berechtigten Bedenken.
So ist zu hoffen, dass das nächste Mal vor einem konkreten Projekt die Ziele definiert werden. Das erst ist die Voraussetzung, um Vorschläge oder auch Bedenken zu prüfen. Es ist auch zu hoffen, dass die Verantwortlichen in der Stadt nicht aufgeben, sich für Transparenz und Partizipation einzusetzen. Es ist zu wünschen, dass die Bürger_innen dieser Stadt nicht aufgeben, Ziele im Sinne des Gemeinwohl zu formulieren und es ist auch zu hoffen, dass früher oder später auch Prozesse gestaltet werden, die einen konstruktiven Umgang miteinander ermöglichen. Dazu gehört ganz sicher auch die Diskussion, welche Ziele unsere Stadt nachhaltig und enkeltauglich machen.
Gesa Maschkowski
Die Autorin ist Transition Trainerin und Prozessbegleiterin für Transformationsprojekte
Richtig, Ziele müssen klar sein, Konsequenzen auch. Das alleine reicht nicht aus. Die Menschen müssen das starke Gefühl haben, mit ihnen werde ehrlich umgegangen. Die wochenlange Tricksereien um die Kosten, die verschwurbelten Formulierungen des SWB-Chefs, ob die Stadtwerke wirtschaftlich stark genug sind, das Projekt zu stemmen, die empathiefreie Parteiname des Oberbürgermeisters für das Luxusbad gegen alle anderen, die – und das ist auch ihr gutes Recht – an ihren Bezirksbädern hängen, die keine Zentralstadt, kein Zentralbad wollen, die an der polyzentrischen Stadt mit ihrer bezirks- und bürgerorientierten Dienstleistungsstruktur festhalten. Je stärker man gerade diese Gruppe für rückwärtsgewandt abgestempelt hat, je mehr drei politische Parteien in die eigene Kasse griffen, um Reklame für die eine Lösung zu machen, umso stärker wuchs der Widerstand. Um so mehr wuchs der Wunsch, den Herrschaften an Rats- und Verwaltungsspitze mal zu zeigen, wer in Bonn die letztentscheidende Rolle spielt.
Die einzige Lehre aus diesem „Debakel“ ist, dass die Stadtverwaltung akzeptieren muss, dass sie Dienstleister – und nicht mehr – für die Bürgerinnen und Bürger ist. Würde man das ernst nehmen, wäre in jeder Hinsicht von Beginn an ehrlich und mit offenen Karten diskutiert worden.
Die Tatsache aber, dass sich viele Bürger – wieder einmal – bewusst falsch oder unzureichend genau informiert fühlten, hat diesen Prozess dahin geführt, wo er geendet ist.
Ich wage die Aussage, dass sich 52% nicht gegen das Bad ausgesprochen haben, sondern gegen die wieder einmal selbstgerechte Haltung von OB, Rat und Verwaltung. Insofern ist es schade um das Bad, aber daraus erwächst die Hoffnung, dass man im Stadt aus dazu gelernt hat.
Liebe Gesa,
solange es in Bonn „komplexe Bürgerbeteiligungsverfahren“ nur nach den „Leitlinien Bürgerbeteiligung“ gibt – also von der Verwaltung selbst oder von einer Agentur/ einem Büro im Auftrag der Verwaltung konzipierte, gesteuerte, kontrollierte und evaluierte (Top-Down) Beteiligungsprozesse gibt …
Solange diese Beteiligungsprozesse wie im Fall „Zentralbad“ erst beginnen, nachdem der Rat bereits eine Entscheidung getroffen hat, so dass die beteiligten Bürger*innen nicht mehr über das OB eines Zentralbades (und dessen Alternativen), sondern nur noch über das WIE (= die Ausgestaltung) mitentscheiden dürfen…
Solange der OB, die Verwaltung und die Ratsmehrheit nicht bereit sind, in einen sachlichen, fair geführten und ehrlichen Dialog mit Bürgerinitiativen über das Für und Wider eines Projekts, z.B. eines Multifunktionsbades einzutreten…
Und solange bei Bürgerbeteiligungsverfahren –wie im Falle des Zentralbades – nicht einmal die geltenden Regeln der „Leitlinien Bürgerbeteiligung“ (siehe oben) eingehalten werden…
Solange halte ich DIREKTDEMOKRATISCHE Verfahren wie das Bürgerbegehren und den Bürgerentscheid nach §26 der Gemeindeordnung NRW für unverzichtbar – als Ergänzung und Korrektur der repräsentativen Demokratie.
Hätten sich die politischen Entscheidungsträger*innen in Bonn VOR der Entscheidung für ein neues teures Schwimmbad mit den Bürger*innen in einem soziokratischen Konsentverfahren oder irgendeinem anderen demokratischen Prozess ausgetauscht und verständigt, dann wären die beiden Bürgerbegehren/- entscheide überflüssig gewesen.
2 letzte Bemerkungen zu Deiner Kritik an Mehrheitsentscheidungen:
Die Abstimmungsbeteiligung war erstaunlich hoch; es geht hier doch nicht um eine Wahl, sondern um eine konkrete Sachfrage, die nicht alle interessiert.
Und was das JA/NEIN –Prinzip betrifft: es ist im Bundestag oder anderen parlamentarischen Gremien doch auch nicht anders: nach mehr oder weniger langer Debatte (die überwiegend nicht öffentlich geführt wird) stimmt das Plenum mit Ja oder Nein ab! Entscheidend ist doch die Qualität der Debatte VOR der Entscheidung! Leider haben die politisch Verantwortlichen in Bonn genau dazu nichts beigetragen, im Gegenteil: den Versand des neutralen Abstimmungsheftes verweigert, keine Infoveranstaltungen in den Bezirken, kein Austausch von Pro-und Contra-Argumenten, Abstimmungszeitraum in die Ferien gelegt…Gute Beteiligungskultur sieht anders aus.
Mit den besten Grüßen
Gisela von Mutius