Klimapolitik und der Schutz unserer Lebensgrundlagen muss zum unverrückbaren Ausgangspunkt jeglicher Politik werden, schreibt Christiane Kliemann in diesem Kommentar. Soziale Gerechtigkeit ist dabei nicht nur „ganz nett“ sondern ein absolutes Muss.
Eigentlich müsste es heißen „Ist das vereinbar mit einer Politik, die auf konsequenten und schnellen Klimaschutz setzt und gleichzeitig Lösungen für alle anderen Umweltprobleme schafft“?, aber das wäre natürlich zu lang für einen Titel und auch zu wenig plakativ. Aber im Grunde ist klar, worauf ich hinauswill: Klimapolitik – oder im weiteren Sinne eine Politik die sich am Erhalt unserer Lebensgrundlagen insgesamt orientiert, muss zur Messlatte jedweder politischer Maßnahmen werden. Politiken, die diesem Maßstab nicht gerecht werden, gehören schlichtweg in die Tonne. Vor dreißig, zwanzig oder vielleicht auch vor zehn Jahren hätte es vielleicht noch anders gehen können, aber jetzt nicht mehr. Zu lange ist zwar von Klima- und Umweltschutz geredet, aber nichts oder zu wenig getan worden. Inzwischen ist die Lage so ernst, dass wir mit dem Rücken zur Wand stehen und kaum noch Spielraum haben. Eine im März veröffentlichte neue Studie kommt zum Beispiel zu dem Schluss, dass unsere Emissionen alle zwei Jahre so stark sinken müssen, wie durch den Corona-Lockdown verursacht: „Wir haben in der Vergangenheit versäumt zu verstehen, dass wir den Klimawandel nicht als Nebenschauplatz behandeln dürfen. Es kann nicht nur um ein Gesetz oder einen Politikansatz gehen, sondern es muss all unserer Politik zugrundeliegen“ sagt die Leitautorin der Studie Corinne Le Quéré.
Keine Partei wird dem Ernst der Lage gerecht
Es ist es kein Wunder, dass die Klimabewegung versucht, auch die in diesem Jahr anstehende Bundestagswahl zur Klimawahl zu machen. Das kann nicht heißen, dass soziale Themen der Klimapolitik „geopfert“ werden müssen. Diese müssen jedoch immer als Teil einer vernünftigen Klima- und Nachhaltigkeitspolitik realisierbar sein, wobei sich „vernünftig“ an den wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Lage unserer Ökosysteme orientieren muss und nicht an dem, was – frei nach Merkel „politisch machbar“ erscheint. Damit wäre der Rahmen von vorneherein ganz neu gesetzt. Wir haben uns zu lange daran gewöhnt, Politik als Abwägungsprozesse zwischen einander als gleichwertig gegenüberstehenden Politikfeldern, Anliegen und Interessen zu verstehen. Inzwischen steht die Erde als Abwägungsmasse schlicht nicht mehr zur Verfügung, und so muss der Erhalt des ökologischen Gleichgewichts auf der Erde als unverrückbare Grundvoraussetzung für alle anderen Politikbereiche etabliert werden und ein paar Ebenen höher rücken.
Für konkrete politische Maßnahmen, vor allem in Bezug auf Ressourcenverteilung und soziale Gerechtigkeit, hieße das: die Zeit der einfachen Lösungen und billigen Wahlversprechen ist vorbei. Wir müssen uns schon anstrengen und kreativ werden, wenn wir mit viel weniger Ressourcen die Bedürfnisse der gesamten Weltbevölkerung decken wollten. Mehr Gerechtigkeit wäre dabei nicht nur ganz nett, sondern ein absolutes Muss: vollkommen unabhängig von ethischen Kriterien wie Menschenrechten sind nämlich nur Menschen, die sozial abgesichert sind und nicht um ihre Existenz fürchten müssen, bereit, an einem kollektiven Projekt für eine bessere Zukunft (oder überhaupt eine Zukunft) mitzuarbeiten.
Der Kuchen muss kleiner werden – und anders verteilt
Wenn der Kuchen, der verteilt werden kann, zwangsläufig kleiner werden muss, spielt auch Verteilungsgerechtigkeit eine größere Rolle, denn wenn insgesamt weniger da ist, müssen vor allem die abgeben, die mehr haben. Aber es geht auch um ein anderes Verständnis von Effizienz und die Frage, wie möglichst viele Menschen von einer Ressource profitieren können. Ein Beispiel hier wäre der Öffentliche Personenverkehr, der mit weniger Ressourcen mehr Mobilität für mehr Menschen herstellen könnte als das eigene Auto. Und schließlich spielt Gerechtigkeit auch psychologisch eine Rolle: wenn ausnahmslos alle ihren Lebensstil verändern müssen – und ohne das geht kein Klimaschutz – dann fällt es auch den Einzelnen leichter, dies zu tun.
Momentan ist keine der etablierten Parteien in Deutschland auf dem hier angedachten und von der Klimabewegung geforderten Kurs. Die einen mehr, die anderen weniger. Insgesamt gesehen ist die Politik noch Lichtjahre von dem, was nötig wäre, entfernt. Die Strategien, mit dieser Situation umzugehen, sind unterschiedlich. Die einen, wie Fridays for Future, setzen auf die Vernunft und hoffen, dass alle demokratischen Parteien anfangen, den Klimaschutz ernst genug zu nehmen. Die anderen setzten auf die Arbeit innerhalb bestimmter Parteien und gehen davon aus, dass bei den anderen sowieso Hopfen und Malz verloren ist. Zu wünschen wäre, dass alle Parteien anfingen, ihre Politikansätze an unserer ökologischen Situation zu orientieren. Dann könnte wirklich ein kreativer Diskurs entstehen, in dem Abwägungen wieder stattfinden und demokratisch ausgehandelt werden können – innerhalb eines von der ökologischen Situation vorgegebenen Rahmens.
Dieser Kommentar ist ursprünglich in der Papierausgabe der Monatszeitung OXI – Wirtschaft anders denken erschienen