Transformation ist mehr als Transfair Kaffee: Best Practice aus der ganzen Welt

Den Klimawandel anzuzweifeln, das sei in etwa so, also würde man mit einem kleinen Ruderboot am Rande der Niagarafälle navigieren und über die Existenz der Niagara-Fälle diskutieren, meinte Ed Gillespie, Gründer der Londoner Kommunikationsagentur Futerra. Gillespie ist ohne Flugzeug um die Welt gereist und hat dann loco2 gegründet, ein Preisvergleichsportal für internationale Bahnreisen in Europa.

Zwei Tage lange debattierten Politiker, Wissenschaftler, Vertreter aus NGOs und Praktiker aus gut 70 Ländern auf der Bonn Conference for Global Transformation wie der Wandel zu einer nachhaltigen und gerechteren Weltgesellschaft gestaltet werden kann. Eingeladen hatten das Land Nordrhein-Westfalen und die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit, GIZ. Unterstützt wurde der Kongress von der Deutschen Welle, dem Sustainable Solutions Network und der Universität der Vereinten Nationen.

Nachhaltige Entwicklungsziele für die ganze Welt

In Brasilien sind etwa 25 % der Kaffeeproduktion vom Klimawandel bedroht, sagte Alejandro Litovsky Earth Security Group. Das bedeutet: Selbst wenn in Deutschland zu 100 % fair gehandelter Kaffee getrunken würde, wäre vielen Menschen im globalen Süden unserer Erde damit nicht mehr geholfen. Für eine nachhaltige und faire Weltgesellschaft braucht es mehr, als das Engagement für andere. Die Länder des globalen Südens und Nordens müssen sich gegenseitig helfen, die Welt auf den richtigen Kurs zu bringen, so die Botschaft der Konferenz. Dies ist auch Ziel der neuen Sustainable Development Goals der vereinten Nationen, kurz SDGs, der Weltentwicklungsziele für Nachhaltigkeit. Sie sollen im September dieses Jahres die UN-Milleniumsziele ablösen, die bisher vor allem die Entwicklungsländer in den Blick genommen haben.

Transformation braucht die Stimmen der Landwirte und Kinder

Die Diskussion über Transformation dürfen wir nicht ohne die Stimmen der Bauern und die unserer Kinder führen, sagte Vandana Shiva, Nuklearphysikerin und Trägerin des alternativen Nobelpreises. Sie verwies auf die negativen Folgen der industriellen Landwirtschaft für Umwelt und Menschen. Indien ist ein Land der Kleinbauern. 80 % der Landwirte besitzen weniger als einen Hektar Land und ernähren damit eine Milliarde Menschen. Das Konzept der Agroindustrie ist es, die biologische Vielfalt zu zerstören, um Lebensmittel zu erzeugen, kritisierte sie. Außerdem würden Landwirte in die Abhängigkeit von Saatgutunternehmen getrieben. Über 300.000 indische Landwirte haben mittlerweile Selbstmord begangen, weil sie ihnen nach Abzug aller Kosten für Saatgut und Düngemittel nicht genug zum Leben blieb. Mit kleinbäuerlicher biologischer Landwirtschaft hingegen können die Landwirte ihr Einkommen verzehnfachen, den Boden, die Vielfalt und das Wasser schützen, sagte Shiva. Darüber hinaus wäre eine kleinbäuerliche biologische Landwirtschaft in der Lage, 10 Gigatonnen CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen. Transformation muss zwei Anforderungen bestehen, meinte sie. Den Test auf Nachhaltigkeit und den Test auf Demokratie. „Wie kann es sein, dass 80 Männer, die man in einen Bus stecken könnte, über die Hälfte der Menschheit bestimmen?“.

Wenn Bürger der Politik mit dem Handy auf die Sprünge helfen

Transformation bedeutet Mitwirkung, sagte der Basilianer Micheul Lago, Gründer der Internet-Plattform Meu Rio (Mein Rio) in Rio de Janeiro. Nachhaltigkeitsziele seien wichtig, meinte er. Was allerdings fehlt, sei der politische Wille, sie umzusetzen. „Eine unnachhaltige Politik kann keine nachhaltige Entwicklung hervorbringen“, meinte er. Vor allem in den Städten sei auf politischer Ebene bislang viel zu wenig passiert. Seine Hoffnung sind die Bürger. Auf der Internetplattfom Meu Rio kann jeder Einwohner von Rio de Janeiro per Internet, Handy oder SMS Verbesserungsvorschläge einreichen, eine Kampagne für seine Idee starten und dafür Stimmen von anderen Bürgern sammeln. 200.000 Menschen sind hier mittlerweile registriert, über 50 politische Verbesserungsmaßnahmen wurden auf diese Weise auf den Weg gebracht. Mehr als 50 % der Kampagnen wurden von Bürgern gestartet, die sich in der Regel nicht politisch engagieren, nämlich junge Menschen aus benachteiligten Stadtvierteln. „Die Hauptbarriere zu Transformation ist eine psychologische, keine technische“, meinte Lago. Menschen brauchen die Hoffnung, dass sie eine Chance haben, ihre Stadt zu verbessern, dann engagieren sie sich auch.

Transformation braucht anderes Denken

Su Kahumbu Stephanou FotoGesa MaschkowskiTransformation fängt im Kopf an, sagte Su Kahumbu Stephanou, kenianische Musikerin und Gründerin des Unternehmens Greendreams. Sie kam durch ein Schlüsselerlebnis zu biologischen Landwirtschaft: Als sie die Tomaten versehentlich mit Pestiziden gedüngt hatte erlitt ihre Mutter Vergiftungen. Daraufhin begann sie mit Bioanbau zu experimentieren. Im Jahr 2010 entwickelte sie die App iCow, ein Wissensmanagementsystem für einfache Mobilfunkgeräte, das Milchbauern mit Know-how über die Viehzucht vermittelt. Jede Woche gibt es zwei SMS mit neuen Lektionen und Tipps, Zugang zu Experten aber auch Schulungsmaterial wie Lehrvideos. Erfolgreiche Landwirtschaft beginnt im Kopf, sagte Kahumbu Stephanou, wir müssen das Wissen der Landwirte investieren. Mittlerweile hat sie mehrere Firmen gegründet. Ihre Kunden sind vor allem junge Landwirte. Sie berichtet von IT-Spezialisten, die in der Stadt keine Arbeit fanden und wieder auf das Land gegangen sind, um dort eine Hühnerzucht aufzubauen; oder auch von Kindern, die Eltern auf iCow registrieren. Transformation braucht ein anderes Denken sagte Kahumbu Stephanou: Wir müssen vernetzt und im Sinne des Ökosystems denken, und wir müssen schnell denken und handeln zum Beispiel mit Hilfe der neuen Mobilfunknetzwerke. Eine der größten Herausforderungen ist die Zeit. „Es braucht so viel Zeit, etwas zu schaffen, aber uns bleibt nicht genügend“.

So wurden am Ende der Konferenz auch unzufriedene Stimmen laut. Man habe nun zwei Tage zusammengesessen und nicht einmal eine Resolution verabschiedet, meinte eine Teilnehmerin. Das straffe Konferenzprogramm ließ auch keinen Raum für Vorschläge aus dem Publikum, etwa die Idee, die neuen Weltnachhaltigkeitsziele auf die Koltanminen in Afrika anzuwenden, in denen mit Kinderarbeit ein wichtiger Rohstoff für die Handyproduktion abgebaut wird. Transformation braucht offensichtlich auch Veranstaltungsformate, die mehr Raum zum Handeln bieten

Fotos&Text: Gesa Maschkowski, www.aid.de

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